Letztens las ich einen interessanten Artikel von Jan Heine auf seinem Blog „Off the beaten path“ über den Aufbau von Laufrädern. „Off the beaten path“ ist ein Ausdruck der vermutlich auf Henry David Thoreaus Werk „Walden“ zurückgeht; in den Sechzigern und Siebzigern war das in der Linksalternativen Szene ein recht gerne gelesener Autor, der heute aus dem allgemeinen Bewusstsein in Deutschland fast völlig verschwunden ist – ebenso wie B.F Skinner (der uns mit Walden II langweilte), Carlos Castaneda oder Robert Shea und Robert Anton Wilson und deren Illuminatus! Werken. Ja, all das musste man lesen, wenn man in den Siebzigern als hipper Intellektueller durchgehen wollte. Am besten kaufte man das ganze Zeug dann auch noch bei Montanus.
Zum Ausgleich las ich heimlich die Freak Brothers, weil das bei den Linken akzeptiert war.
Walden von Henry David Thoreau ist die Fiktion einen alternativen und ausgewogenen Lebenstil zu verwirklichen. Jan Heines Artikel über Laufräder ist eine Fiktion über den perfekten Aufbau von stabilen und haltbaren Laufrädern:
By now, most cyclists know that spokes don’t break from overloading, but from fatigue as the spoke is loaded and unloaded when the wheel rotates. The wheel flattens at the bottom, which unloads the spoke at 6 o’clock. With each wheel revolution, every spoke passes through that spot, where it is slightly detensioned, and then tensioned again. Over time, that causes the spoke to fatigue.
To get the maximum life out of your spokes, you want the detensioning to be as small as possible. That is what double-butted spokes (above) are for: They are thinner in the middle, so they can stretch more, which means that they don’t detension as much as a thicker spoke would. Yet the ends, where spokes fail if they break, are thick and thus will last a long time. It may seem counterintuitive at first, but the thinner mid-sections make double-butted spokes more durable than thicker straight-gauge spokes.
Also, nehmen wir einmal an, die Grundannahmen sind hier richtig: Jedesmal wenn die Felge bzw. der Reifen den Boden berühren, wird das ganze leicht verbogen, so dass die Felge flach wird. Dadurch wird der Abstand zwischen Nabenflansch und Felge geringer, die zugehörige Speiche wird kürzer und entspannt sich.
Jetzt vergleichen wir mal was passiert wenn wir zwei Speichen haben: Eine mit einem dünnen Durchmesser in der Speichenmitte (z.B. DT Swiss Revolution 2,0 / 1,6 mm) , und eine, die einen durchgehenden Durchmesser von 2,0 mm hat (z.B. DT Swiss Champignon). Die Kraft mit der die Speichen eingespannt sind beträgt z.B. 800 N, das ist ein realistischer Wert. Diese Kraft ist unabhängig vom Durchmesser überall in der Speiche gleich, da die Speiche gerade ist und wegen der gelenkigen Lagerung in Felge und Flansch keine Momente aufnehmen kann. Man kann die Spannung Sigma (Tension) im Querschnitt berechnen in dem man die Kraft durch die Fläche des Querschnitts teilt, also:
Sigma (DT Revo) = 800 N / ( Pi x 1,6 mm x 1,6 mm x 0,25) = 400 N / mm2 (gerundet)
Sigma (DT Champ) = 800 N / ( Pi x 2 mm x 2 mm x 0,25) = 250 N / mm2 (gerundet)
Die Verformung hier ist elastisch, also sie kann auch rückgängig gemacht werden im Gegensatz zu einer plastischen Verformung. Der Zusammenhang zwischen Spannung und elastischer Verformung wird durch das E- Modul beschrieben:
Sigma oben steht für die Spannung, Epsilon unten für die Verformung als Anteil der Gesamtlänge. Der Zusammenhang zwischen Spannung und Verformung ist linear und wird durch die Konstante E beschrieben. Diese ist unterschiedlich in Abhängigkeit vom Material, bei Stahl wie bei Speichen beträgt sie etwa 210.000 N/mm2.
Was passiert also mit der Spannung in den beiden Speichen, wenn sich die Felge um 0,1 mm verformt und die Speiche 280 mm lang ist? Dann wird die Spannung in der Speiche um E x 0,1 mm / 280 mm geringer, also: 75 N / mm2.
Mit anderen Worten, die DT Revo verliert etwas weniger als 20% ihrer Spannung, während die DT Champ 30% verliert. Warum macht das nun einen Unterschied?
Das kann man durch einen Wöhlerversuch nachweisen. Das funktioniert im Prinzip so, dass man ein Stück Stahl (eben z.B. eine Speiche) immer wieder in gleichen zeitlichen Abständen durch eine Zugspannung be- und entlastet. Also ziehen, wieder loslassen, wieder ziehen, bis die Speiche bricht. Die Ursache des Bruches ist die Ermüdung des Materials durch ständige Be- und Entlastung. Bei dem Wöhlerversuch zählt man, wie viele Lastwechsel (also einmal ziehen und loslassen) durchgeführt werden müssen, bis es zum Bruch kommt. Und da ist es so, dass die Zahl der Lastwechsel deutlich geringer ist, wenn die aufgebrachte Spannung groß ist. Und umgekehrt. Also, wenn ich die DT Revo Speiche wie oben beschrieben, jedesmal um 75 N / mm2 be- und entlasten würde, dann hält sie vielleicht 10 Millionen Lastwechsel, wenn ich aber jedesmal um 350 N / mm2 belasten würde, dann vielleicht nur noch 2 Millionen Lastwechsel.
Und aus diesem Grund machen dünnere Speichen Sinn, um haltbarere Räder zu bauen.
Jetzt braucht man noch gute Felgen. Mavic hat gerade eine überarbeitete Version der Open Pro vorgestellt, neben der Rigida DP18 eine der am längsten im Markt erhältlichen Felgen. Dem Trend folgend ist dies auch für Tubeless Reifen geeignet und wird in zwei Versionen, mit Bremsflanke für Felgenbremsen und ohne für Scheibenbremsen angeboten. Sorry, drei Versionen, da gibt es noch eine exotische Version mit Exalith Beschichtung an den Bremsflanken, die da ganze irrwitzig teuer macht (170€ pro Felge).

Könnte die Scheibenbremsen Version sein ohne Bremsflanke

Ist das „Exalith“ ??? Oder geschmolzene Lava ????
Das sieht wirklich wie eine moderne Alufelge aus, alles klassische ist da weg. Interessant, dass Mavic aber trotzdem nicht auf Speichenösen verzichtet – in silber. Ich mag die Open Pro, auch wenn ich die bei klassischen Rädern nicht verbauen kann. Sonst ist da eine Stabile und verlässliche Felge, auch wenn ich sonst nicht gerade ein Fan von Mavic Rädern (oder Reifen) bin.
Hallo,
ich erlaube mir einen kurzen Einwand/Ergänzung zur obenstehenden Erklärung. Da wird einiges durcheinandergebracht mMn:
Das (klassische) Wöhlerdiagramm beschreibt die Abhängigkeit der aufnehmbaren Lastspielzahl von einer Spannungsschwingbreite um eine s.g. Mittelspannung. Die Mittelspannung ist bei beiden Speichen in deinem Beispiel unterschiedlich, das fließt aber gar nicht in das Ermüdungsmodell ein! Die Spannungsschwingbreite ist in deinem Beispiel bei beiden Speichen gleich (75 N/mm²), somit ergibt sich nach Wöhler* (klassisch) auch die gleiche aufnehmbare Lastspielzahl. Es gibt (sehr grob gesagt) unterschiedliche Wöhlerlinien ja nachdem ob ein Vorzeichenwechsel stattfindet (schlecht) oder nicht (gut). Und genau hier liegt der große Vorteil von dünnen Speichen: es findet keine totale Entlastung der Speiche statt!
Dies gilt, wenn man nur den verdünnten Mittelteil einer Speiche betrachtet. Speichen brechen in der Regel aber nicht im dünneren Mittelteil sondern am Speichenbogen (Biegung) bzw. Nippel (Gewindeansatz – Kerbwirkung). Hier tritt bei verdünnten Speichen der Vorteil auf, dass im an den Speichenenden dickeren Teil eine geringere Spannung auftritt als bei nicht verdünnenden Speichen. Somit hat man dann dort hier eine höhere Lebensdauer.
VG
Stefan
*Wöhlermodell ist natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss und man kann vieles verfeinern, anders definieren, Mittelspgseinfluss genauer bestimmen etc. Aber das führt zu weit.
Was Du schreibst macht alles Sinn. Ich denke in Ruhe noch mal drüber nach und schreibe dann etwas – Danke Dir.
Ja, man merkt halt teilweise, dass ich um 4:30 in der Früh getippt habe ;-).
Aber falls noch Fragen auftauchen, ich lese hier mit.
Hallo,
kurzer Nachtrag. Ich hab heute nochmal kurz nachgesehen, da ich mir bei 1-2 Sachen selbst nicht mehr ganz sicher war (Studium ist eine Weile her). Ich muss einen (wichtigen) Punkt korrigieren: Wechselspannung (Zug/Druck) führt zu einer geringeren Ermüdungsbelastung und erhöht somit die Lebensdauer! Also genau anders als gedacht. Ich hab aber zugegebenermaßen nur kurz in Bauingenieursnorm (EN 1993-1-9 und DNV) reingeschaut, keine Hintergrundliteratur gelesen.
Weshalb dann die geringere Lebensdauer? Mir fallen spontan 2 Punkte ein:
– Die Speichen brechen nicht wegen der Wechselbeanspruchung sondern weil ein Laufrad, in dem Speichen in Wechselbeanspruchung kommen in der Regel nicht gleichmäßig vorgespannt ist und so einzelne Speichen immer höhere Spannungsschwingbreiten abbekommen. Wechselbeanspruchung ist hierfür nur ein Symptom (bzw. Verstärkt das Problem, da sich einzelne Speichen lockern können).
– Wenn eine einzelne Speiche die Vorspannung verliert müssen (da sie ja keinen Druck aufnehmen können), die Nachbarspeichen entsprechend eine höhere Spannungsschwingbreite aufnehmen -> höhere Ermüdungsbeanspruchung.
VG
Stefan
Ich glaube da haben wir noch einen anderen Punkt vergessen: Wenn die Speichen dicker sind, dann ist die Spannung im Querschnitt natürlich geringer. Also ergibt sich auch eine geringere Verformung wenn das E-Modul gleich ist. Mit anderen Worten, ein Laufrad mit dicken Speichen wird weniger „flach“ als eins mit dünnen Speichen. Von daher würde ich dann mal behaupten, dass die Lebensdauer bei dicken Speichen größer sein müsste.
Der andere Punkt ist die Bewegung im Speichenloch. Bewegt sich der Speichenkopf dort in den Nabenlöchern, weil die etwas größer sind als der Speichendurchmesser, dann wird in der Krümmung die Speiche gekerbt, uns zwar dort wo sie ohnehin am stärksten belastet ist wegen dem Moment was her zusätzlich wirkt. Allerdings kann man das stoppe, in dem man Messingunterlegscheiben verwendet, die sich zwischen Speiche und Nabenloch legen und somit eine Bewegung verhindern. Die baue ich baei allen meinen Laufrädern ein und habe damit gute Erfahrungen gemacht – eine Speiche ist mir dort bislang noch nie gerissen.
Von daher stehe ich immer noch vor einem Rätsel, warum dünnere Speichen die Längere Lebensdauer haben sollen.
Ich bin mir da nicht sicher. Ich würde eher davon ausgehen, dass die Verformung bei unterschiedlichen Speichen mehr oder weniger gleich bleibt, da diese ja hauptsächlich vom Flächenträgheitsmoment (Steifigkeit) der Felge abhängt (im Endeffekt wird die Felge ja vorgespannt durch die Speichen) und nicht von der Steifigkeit der Speichen. Es gibt natürlich auch Effekte 2. Ordnung wo die Speichen eingehen, aber die würde ich eher als nebensächlich sehen.
Man könnte natürlich noch die Bewegung im Speichenloch/abheben der Nippel betrachten, aber das kommt ja nur bei einem schlechten Laufrad vor…