Seitdem ich mich beim Bloggen kürzer trete, bekomme ich deutlich mehr positive Kommentare. Vielleicht sollte ich ganz aufhören und werde dann für den Literaturnobelpreis 2020 nominiert.
Zum ersten Mal überhaupt wurde ich angefragt, ob ich nicht Interesse hätte an einem Produkttest teilzunehmen gegen Übernahme der Reisekosten nach Koblenz. Hm, meine Seele für eine Nacht in Koblenz und einen Sattel verkaufen? Na klar! Das war das bisher mit Abstand attraktivste Angebot und wer weiß ob da jemals überhaupt jemals etwas besseres kommen wird.
Also machte ich mich an einem Donnerstag mit der Deutschen Bahn auf nach Koblenz.
Wen das verständlicherweise nicht interessiert, der möge da unten weiterlesen.
Die Deutsche Bahn hatte mal wieder Schwierigkeiten in der Zusammenstellung der Zugreihenfolge. Für alle die das nicht kennen sollten: In einem Personenzug der Deutschen Bahn sind die Waggons nicht etwa von 1 bis 10 von vorne bis hinten nummeriert, sondern irgendwie von 21 bis 29 oder einer anderen beliebigen Zahlengruppe die vorne oder hinten beginnen kann. Das ist ein hausgemachtes Problem, denn in Japan ist das ganz simpel: Ein Shinkansenzug ist immer von 1 bis 15 nummeriert, vorne beginnend.
In den Shinkansenbahnhöfen in Japan gibt es auf dem Bahnsteig angezeichnete Einstiegsmarkierung mit Nummern für die Wagons, so dass man sich rechtzeitig dort hinstellen kann, oder sich ggf. in die Schlange dort einreiht. Der Zug hält da nämlich sehr präzise, ich würde mal sagen +/- 50 cm.
In Deutschland hingegen gibt es diese Zonen A bis E (ich vermute A ist die amerikanische, und E die sowjetische Zone) die in darüber informieren sollen, wo ein Wagen in etwa stehen könnte; dazu muss man sich aber zunächst einmal auf dem Bahnsteig am „Wagenstandsanzeiger“ orientieren und dann darauf hoffen, dass der Zug auch korrekt gereiht ist. Kurz, da ich ja auch noch in der Raucherzone rauchen muss bin ich auf so einem Bahnsteig deutlich mehr in Bewegung als bei einem typischen Tag im Büro. Soweit so gut.
Manchmal kommt die Bahn auf die Idee Waggons kurzfristig umzubenennen. Kein Problem, dazu verfügt sie über einen Stapel innovativer Ideen wie dieser hier:
So eine IC Einfahrt im Bahnhof gleicht dann in etwa dem Auszug der Israeliten aus Ägypten, während die Ägypter gerade aus Israel zurückkommen und sich alle in der Mitte des roten Meeres treffen.
Natürlich wäre es auch zu einfach, wie z.B. in einem Flugzeug die Sitze in einem Wagen mit fortlaufenden Nummern für die Reihen beginnend mit 1, und Buchstaben für die Plätze zu benennen, so dass Reihe 1 immer vorne ist. Das ist aber nicht so – angeblich orientiert sich die Nummerierung an Abteilen – und so steigen etwa die Hälfte der Passagiere auf der falschen Seite ein und müssen durch den ganzen Waggon gehen, während Ihnen die andere Hälfte aus der anderen Richtung entgegen kommt. Das was gerade auf dem Bahnsteig passierte wird nun im kleinen, Waggon für Waggon wiederholt.
Ich würde gerne einmal einen Post bei dem ich mit der DB unterwegs war ohne 500 Worte über die DB beginnen, aber es geht leider nicht.
Da unten
In Koblenz war ich nicht mehr seit 1978, als ich zusammen mit meinen Freunden Christoph und Wolfgang von Koblenz bis nach Bernkastel-Kues gewandert bin. Ich erinnere mich nur noch an ganz wenige Dinge, unter anderem, dass ich den ersten Brain-Freeze meines Lebens im McDonald beim schlürfen eines Vanille Milkshakes hatte, und dass ich das erste Rutles Album irgendwo in einem kleinen Plattenladen kaufte und dann in einer Plastiktüte eine Woche lang an der Mosel herumschleppte. Es hat sich trotzdem gelohnt.
Koblenz hatte sich in den letzten vierzig Jahren nicht wesentlich verändert. War so mein erster Eindruck. Da ja dort am Deutschen Eck die Mosel in den Rhein fließt, ergibt sich ein ziemlich komplexes Problem, und zwar, auf welcher Seite muss man in Koblenz leben, um auf der richtigen Seite zu sein? In Köln (links), Düsseldorf (rechts) und Bremen (rechts) ist das klar, denn dort teilt der Rhein bzw. die Weser die Stadt in zwei Hälften die unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber ist es nun in Koblenz cooler rechts vom Rhein zu leben, oder links vom Rhein und rechts von der Mosel, oder links vom Rhein und links von der Mosel? Das ist ein Problem, an dem Städte zerbrechen können.
Ergon ist links/links, könnte also nicht linker sein.
Das Unternehmen liegt einerseits in so etwas wie einem Technologiepark in der Nähe der Uni und andererseits, nur durch einen großen, häßlichen Schotterparkplatz getrennt, etwa 300m vom Stattstrand an der Mosel entfernt. Den gab es 1978 noch nicht. Technologiezentren bestehen in der Regel aus neuen, rechteckigen Gebäuden an deren Fassade Firmennamen geschrieben stehen, die fast immer nach dem Muster „CryptoScan“ gestrickt sind. Eine Bäckerei würde hier zum Beispiel mindestens „BäckeRei“, „BaKery“ oder noch wahrscheinlicher „BunSys“ heißen. Ergon heisst einfach nur Ergon und kommt erstens neongrün und zweitens Ying/Yang Symbolmässig rüber.
Ich war einer der ersten da, – bis auf die Vertreter von BASF die mich netterweise eingeladen hatten, es sollten ja noch eine Menge Journalisten aus der Fachpresse kommen und ich wurde erst mal informiert, was mich so erwarten würde. Also Vorträge, dann ein Rundgang durch das Unternehmen, Radtour mit Sattel zum testen und dann Abendessen in einer alten Mühle an der Mosel. Definitiv interessanter als ein typischer freier Tag in Bremen (lange schlafen, Mathe mit Tochter üben, Rechnungen sortieren gefolgt von schlechtem Gewissen nichts sinnvolles getan zu haben).
So langsam kam die Fachpresse. Neben mir war Caro eingeladen, die als MTB Travel Girl bloggt und Videos auf YouTube veröffentlicht. Eine echte Influencerin also im Gegensatz zu der Fach/Fake Presse. Erstaunlich wie viele Journalisten kommen, wenn ein Sattel vorgestellt wird. Irgendwann meinte jemand, dass in Deutschland rund 1.000 verschiedene Fahrradsättelmodelle angeboten werden, da kann das Interesse an einem weiteren doch nicht so hoch sein. Ist es aber.
Jire, die an einer Hochschule in Berlin angehende Journalisten unterrichtet hatte mich bereits gewarnt: Journalisten sollten ja eigentlich gute Zuhörer sein, damit sie viel aufnehmen und dann darüber berichten können. Dem ist aber nicht so, Journalisten erzählen liebend gerne und zwar stundenlang. Das hatte zur Folge, dass ich an diesem Tag eine Menge netter Menschen von Ergon und BASF kennenlernte und so gut wie keinen Journalisten. Macht auch nichts. Zuhören war ohnehin angesagt, denn es gab jetzt erst einmal Vorträge zum Thema, dem Ergon Sattel ST Core Prime Men/Women.

Sattel. Schwarz. Für Männer.
Zunächst erzählte Franc Arnold von Ergon, Sättel und der Entwicklung genau diesen Sattels. Das grundsätzliche Konzept gab es bereits einige Jahre, es fehlte aber das geeignete Material, um dieses Konzept in ein Produkt umzusetzen. Das wurde dann zusammen mit BASF „gefunden“: „Infinergy“ ein Material das in etwa wie Styropor aussieht, sich aber ganz anders verhält. Das Material wird zum Beispiel auch bei den Adidas Boost Schuhen benutzt. Tatsächlich wird ja heute nichts mehr neues erfunden, sondern nur noch altes mit altem zu neuem kombiniert.
Ich sitze ja nie in einem Vortrag und höre mir interessehalber an was da erzählt wird. Stattdessen sitze ich da und bewerte einen Vortrag. Das ist eine dumme Angewohnheit, die sich eingeschlichen hat, nachdem ich hunderte von Studenten habe vortragen sehen. Ich mache mir dann Notizen was mir gut gefallen hat und was weniger. Manchmal muss ich mich zurückhalten aufzuspringen und zu sagen: „Danke, reicht die 20 Minuten sind vorbei“. Aber hier nicht. Das lag daran, dass Franc Arnold ganz sympathisch und logisch rüberkam und die Materie gut erklären konnte – ich spare mir hier trotzdem die Einzelheiten. Jedenfalls dachte ich ab und an „Ach, mit dem würde ich auch ganz gerne mal zusammenarbeiten.“
Trotzdem gab es aber auch ein paar Umgereimheiten. Wenn man sich den Sattel von hinten ansieht, woran denkt man dann zuerst?
Denkt man dann „Wow cool, sieht aus wie ein Adidas Boost Schuh?“ Oder eher: „Wieso ist der Sattel denn noch in der Styroporverpackung?“ Also ich und auch einige andere im Raum fanden den Bezug zu Styropor doch sehr nahe liegend. Franc Arnold hörte dies jedoch zum ersten Mal, obwohl das Unternehmen eine umfangreiche Zielgruppenbefragung durchgeführt hatte. Und das hat denen echt keiner gesagt? Ehrlich?
Das die Ergon Produkte ja oft über den Fachhandel verkauft werden, wäre es auch gut gewesen einmal Fachhändler um ihren Beitrag zu bitten. Denn die Ergonprodukte verkaufen sich ja nicht über den Preis im Internet, sondern weil ein vertrauensvoller Mensch in einem Fachgeschäft einem Kunden erklärt, warum er genau dieses Teil braucht, auch wenn das erst einmal mehr Geld kostet. Damit dieser verrauensvolle Mensch das tun kann muss er selber auch Vertrauen haben, dass er das richtige tut. Der Job von Ergon ist es in dieser Beziehung also Ideen in Köpfe zu bekommen, etwas was man gemeinhin auch „Marketing“ nennt. Im Gegensatz zu „Verkaufen“, wo es im wesentlichen darum geht Geld in die Hand zu bekommen.
Als Fachhändler bin ich der Meinung, dass die Farbe Weiß an einem Rad, mit Ausnahme von Rahmen, Lenker, Vorbau und Zughüllen nichts zu suchen hat – und zwar je weniger, je näher das Weiße in Richtung Boden und Reifen kommt. Das wird nämlich sehr, sehr schnell dreckig und eklig. Klar – ein weisses Lenkerband sieht neu superklasse aus. Aber eben nur neu. Weisse Ketten, weiße Komponenten (Shimano Sante!), weiße Sättel – bitte nicht.
Als Radsport-Händler, wenn ich mal so sagen darf, empfinde ich ja lustigerweise Ergonomie und Radsport als Gegensätze. Bei Radsport muss man leiden und HTFU. Ergonomische Produkte zu benutzen ist da irgendwie … pfuschen. Ich denke, das ist ein echtes Marketingproblem.
Egal. Es folgten drei weitere Vorträge, einer von BASF, einer von einem Ergonomen und einer von einem Urologen. Davon habe ich nicht mehr allzu viel behalten, bis auf den Satz „Man muss sich das einmal vorstellen, jede Kugel ist ein Mikrokosmos“ in Bezug auf das Infinergy Material. Manchmal drehen die Pferde einfach durch.
Dann gab es eine Führung durch die Büros. Das war nicht uninteressant, denn wir konnten wirklich alles sehen und uns wurde alles erklärt – insgesamt war das eine sehr offene Atmosphäre, das kenne ich von anderen Unternehmen auch deutlich anders. Bei Block Transformatoren in Verden zum Beispiel, die ja wirklich nichts besonderes machen, muss man zum Beispiel beim Empfang direkt die Handys abgeben.

Zusammen mit der Fachpresse bei Ergon Coypright: MTB Travel Girl.
Wie immer schaute ich mir alles ganz genau an, insbesondere die Sofagruppe. Es sah alles sehr ordentlich bei Ergon aus, ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass hier kreativ gearbeitet wird. Und auf Nachfrage war es dann auch nicht so, die Mitarbeiter mussten die Tage vorher das Büro aufräumen.
Dann ging es endlich auf die Radtour entlang der Mosel. Auf unseren Trekkingmöhren waren die Ergonsättel montiert und los ging es links/links an der Mosel entlang in Richtung Süden. Also die Fachpresse und wir Influencer fuhren Trekkingmöhren, während die Ergon Mitarbeiter coole Eigenbauten hatten. Zuerst tat mir der Sattel weh, aber nach einer Weile bemerkte ich ihn gar nicht mehr, was immer ein gutes Zeichen ist. Aber ich bin auch nicht sooo pingelig mit Sätteln – von allen die ich jemals gefahren bin hatte ich nur bei zweien das Gefühl gefoltert zu werden: Der San Marco Rolls und noch schlimmer, der San Marco Regal. Ich habe allerdinsg auch noch nie so extreme Dinge wie einen Cinelli Unicantor oder einen SMP ausprobiert.
Wir fuhren dann zu einer alten Mühle an der Mosel (Thomas Höreth) um dort zu essen. Die Mühle selbst ist aus dem 11. Jahrhundert, der Besitzer erzählte uns ein wenig davon. Ich amüsierte mich gut, auch wenn ich auf dem Video von Caro wieder nur missmutig in die Gegend starre.

Die Laune blieb erst einmal in der gelben Tasche. Copyright MTB Travel Girl.
Mensch die mich kennen, sehen mir allerdings an, dass ich gerade komplett am ausflippen bin und kurz vor einem Orgasmus stehe.
Der offizielle Teil war nun zu Ende. Ich sass an einem Tisch mit vielen Menschen von Egon und unterhielt mich gut – lustigerweise über eines meiner Lieblingsthemen: Shimano 600AX Bremsen. Na ja, egal, nach Mitternacht war ich dann endlich im Hotel und im Bett. Schöner Tag, Danke an Marius Rummel von BASF der mich entgegen aller Routinen eingeladen hatte.