Na, auch am Samstag in Northeim auf der RTF gefahren? Dann habe ich Dich gesehen!
Die Erklärung folgt später. Warum sollte man auch aus Bremen auf eine mehr als 200 km weit entfernte RTF fahren, wenn die Regenwahrscheinlichkeit 85% beträgt, man dafür morgen um 4:50 hr aufstehen muss, nachdem man am Abend vorher mit seinen Studenten den Abschluss ihres Studiums gefeiert hat? Alles gute Gründe, die dafür sprechen das alles sein zu lassen – es sei denn die eigene Frau, wie so oft, drängt dazu: „Komm‘ jetzt, Du hast noch nicht genug Höhenmetern in den Beinen und Du willst in einem Monat in die Alpen. Ich will nicht, dass Du Dich dort blamierst und Leute komisch über unsere Familie reden!„. Nicht nur meine Frau baute da Druck auf, sondern auch die wohlmeinenden besseren Hälften von Hannes und Eddie (nach eigenen Angaben) und so fanden wir drei uns morgens im fünf im leichten Nieselregen vor meiner Garage ein und machten uns auf den Weg nach Northeim.
Northeim, wie der Name schon vermuten lässt, liegt nicht im Norden, denn sonst würde es ja „d“ geschrieben. Eigentlich liegt es nirgendwo, nirgendwo wo ich jemals war, oder nur in der Nähe war. Ein Teil Deutschlands, der sich bislang völlig meiner Wahrnehmung entzogen hat. Noch nicht einmal in der Grundschule, wo ich Flüsse, Gebirgszüge und Landschaften von der Etsch bis an den Belt bis zum Erbrechen lernen musste, kamen Northeim oder Solling vor. Solling, das war für mich ein Segelboot und Northeim eine Stadt für Legasteniker.
Tatsächlich liegt Northeim aber nur 2 Stunden Autofahrt von der glitzernden Metropole Bremen entfernt, verbunden durch eine leere Autobahn, getrennt durch ein dickes schwarzes Regenloch, das sich von Nieseln zu kontinuierlichem Niederschlag auf der Hinfahrt entwickelt. „Wisch, wisch, wisch – KAWUNG!“ machen die Scheibenwischer, weil sich der rechte über die rechte Seite des Fensters hinaus bewegen will und heftigst gegen den Fensterrahmen anschlägt. Ein typischer Konstruktionsfehler eines Ford Galaxy, der seit drei Jahren auch nicht mit Direktimport von Spezialgestänge aus Fernost behoben werden kann – oder eben genau dadurch entstanden ist.
Der Start ist in Northeim an einer Schule, am Parkplatz gibt es noch jede Menge freie Plätze und innen drin noch jede Menge belegte Brötchen, hübsch drapiert auf einem Tisch; gemütliche Sitzecken, zwischen hübsch dekorierten Heizkörpern laden zum verweilen ein. Draußen regnet es weiter, da ist das die weitaus bessere Alternative.

Raum- und Zeit-trennende Heizkörper

Morgens am Start. Ein irres Gewimmel von Menschen.
Um 8 Uhr ist der Start für den 210 km Radmarathon, wenn ich mich nicht verzählt habe, machen sich acht Fahrer auf den Weg. Mir tut der ausrichtende Verein etwas leid, der vermutlich mehr als doppelt so viel Freiwillige aufgeboten hat, um die RTF durchzuführen. Es hat aber nicht jeder so ehrgeizige Frauen wie wir.
Zwischen den Raum- und Zeit-trennenden Heizkörpern treffen wir einen älteren Fahrer aus Erfurt, der mit dem rad gekommen ist, knappe 150 km. Welche Strecke der denn fährt? Gar keine, gleich geht es wieder zurück nach Erfurt. Verstanden habe ich das nicht.
Kurz vor halb neun versammeln sich die Starter unter dem Vordach am Haupteingang. Insgesamt zähle ich etwas mehr als zwanzig, die meisten aus der Umgebung, bis nach Hannover. Wir haben mit ziemlicher Sicherheit die weiteste Anreise hinter uns.

Es kann gleich losgehen, so richtig aus will aber keiner.
Ein Repräsentant des Vereins hält eine anfeuernde Rede, die aber auch aufgrund des Regens und da er keine Lust hat da draußen nass zu werden, sehr kurz ausfällt: „Gute Fahrt! Und los jetzt!“.
Dann zieht das Feld ab durch den Regen. Selten war ich so lange in der Spitzengruppe einer RTF, gemütlich fahren wir so mit 30, 32 durch Northeim und bleiben erst einmal zusammen. Nach etwa 5 km sind die Schuhe und die Socken nass, dann auch Hose, Jersey und alles was sonst so an mir dran ist. Was nicht durch den Regen nass wird, erledigt der Schweiß unter der Regenjacke. Vielleicht sollte ich mir doch einmal so eine Castelli Gabba zulegen – aber mir fehlt einfac der Glaube, dass das wirklich etwas nützt. Genauso wie der Glaube an Überschuhe – ob man nach 5 oder 10 km die Socken nass hat macht keinen Unterschied bei 150 km Strecke.
Bei den erste Anstiegen zerreist es dann schon das Feld. Wir bleiben in einer acht Mann starken Gruppe. Ach so, ja eine einzige Frau am Start. Will wohl auch in die Alpen und wurde von ihrem Mann hierher getrieben. Bei den ersten Abfahrten schlägt der Regen bei höherer Geschwindigkeit unbarmherzig ins Gesicht. Oder vielleicht war es auch kein Regen, sondern Kieselsteine aus der Rückentasche von Hannes, die er immer dann schmeißt, wenn er droht zurückzufallen.
An der ersten Kontrolle nach 30 km haben wir uns an das Wetter gewöhnt, wir fahren gleich wieder weiter und bleiben in unserer Gruppe zusammen. Bei der zweiten Kontrolle, hinter den Höfen hat es langsam aufgehört zu regnen, mit viel Phantasie kann man im Westen ein Aufklaren erkennen.

Hannes und Eddie vorne, aufklarendes Wetter hinten.

Dummerweise ist das auch der Teilungspunkt für die 115er Strecke (rechts) und die 150/210er Strecke links, und so wird unsere Gruppe etwas kleiner. Einerseits. Andererseits können wir aber auch ein paar andere aufsammeln. Von nun an bleiben wir fast alles bis fast bis zum Ende zusammen: Hannes, Eddie, Deutschland (Alle nennen ihn Deutschland, weil auf seiner Hose groß Deutschland steht), Rolf, Rolfs Freund, ein rote und ein Blauer. Oder, wo ich so drüber nachdenke war der blaue rot, bis er seine Regenjacke auszog. Ich unterhalte mich mit ihm und den anderen; alle sind aus der Gegend, kennen sich super aus und sich irritiert über meine Frage, ob das hier bereits Zonenrandgebiet ist. Es beginnt der Anstieg von Dassel in den Solling. Ich fahre vorneweg mit Deutschland und wie unterhalten uns über dies und das. Rolf mag das gar nicht, Rolf möchte vorne fahren, ist aber am Berg langsamer als in der Ebene oder Abfahrt und überholt uns mal wieder. Das macht er ständig, auch in den Kurven rechts und das macht mich ein wenig nervös. Rolf hat ein gutes Kharma.

Oben auf dem Solling warte ich auf Hannes und Eddie und wir fahren zu dritt flott den anderen hinterher auf der langen Abfahrt.nach Bodenfelde an der Weser. das macht nun richtig Spaß, die Strasse ist fast gerade und wenig technisch, es hat größtenteils aufgehört zu regnen und wir ziehen mit 40 plus unsere Runden.
Die nächste Kontrolle ist direkt vor einem Continentalwerk vor dem Anstieg auf den Totenberg.

Noch mehr Regen. Gerade genug Zelt.

Hier bleiben wir relativ lange, denn ein fieser Schauer kommt nieder und wir drängeln uns unter dem Zelt zusammen. Eigentlich ganz gut, dass nicht mehr fahren, denn da wäre es sau eng geworden. Also der Regen wieder abflacht machen wir uns wieder auf den Weg, zu uns ist in der Zwischenzeit noch Old Silverbeard gestossen.
Den verlieren wir aber fast wieder gleich auf dem nächsten Anstieg. Der sieht gar nicht so schlimm aus, aber nach mehr als 100 km durch den regen ist auch ein wenig Kraft weg, und die vielen Wellen täuschen immer mal wieder das Ende vor, dass aber noch nicht da ist, eine weitere Abfahrt, ein weitere Welle. Oben angekommen ziehe ich mir die Regenjacke aus und warte auf die anderen. Rolf fährt schnell durch, aber wo ist Deutschland? Ich warte auf Deutschland, der eine Minute später oben ist und ziehe Deutschland wieder an die Gruppe ran.
Das nützt aber alles nichts. Deutschland sieht ziemlich schlecht aus und fällt wieder raus. Old Silverbeard ist schon lange weg. Es regnet nicht mehr und langsam trocknet auch die Strasse.

Rolf war’s mal wieder zu langsam und zieht davon.

Vorne der Rote, der eigentlich blau war.
Das letzte Stück der RTF ist nicht wirklich schön – viel breite Bundesstraße mit Verkehr, das hätte der Veranstalter auch besser planen können – aber wir sind ja dankbar, dass wir überhaupt fahren dürfen. Eine letzte Kontrolle nach 140 km. Rolf hat einen Platten. Sage ich ja: schlechtes Kharma. Oder vielleicht liegt es auch daran, dass er einen Schwalbe Ultremo fährt und trotzdem vor einer Continental Fabrik Pause gemacht hat. „Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort..“ sagte mein Opa dazu, und heute vermute ich, dass es mit „… große niemals“ weitergeht.
Noch 14 km. Die Streckenführung überrascht noch einmal mit einem Abstecher auf einem Feldweg.

Rolf mal wieder vorne. Der Rote jetzt blau.
Geschafft. Ziel. Kein Mensch da, vielleicht drei, vier Fahrer und die gleiche Anzahl von Menschen vom Veranstalter, Cicli Northeim. Würstchen mit Kartofelsalat. Eine Cola. Duschen. Erstaunlicherweise sind wir trotz des schlechten Wetters gut brau geworden:

Als wir am Auto stehen trudeln Deutschland und Old Silverbeard ein. Deutschland bekommt von Old Silverbeard eins auf den Deckel, sie hätten ja auch zusammen fahren können. Das tun mir dann, und zwar nach Hause.
Abgesehen davon, dass es (von Sonntag aus betrachtet) viel Spaß gemacht hat, es war auch ein wirklich notwendiges Training für die kommenden Abenteuer und neben Hannes und Eddie möchte ich besonders unseren Frauen danken die mit viel Verständnis, aber auch dem nötigen Druck, uns immer wieder auf den richtigen Weg führen. Dieser Weg sollte uns, damit wir auch wirklich in den Alpen bestehen können, in den nächsten Tagen noch einmal in den Harz führen, dies als kleiner Hinweis an unsere Frauen. Aber vermutlich kommen die ja selber drauf.
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