Monatsarchiv: Oktober 2020

Trek Chefpoint

Seit März 2018 betreibe ich einen Radladen, eigentlich einen Radladen mit Café in der Bremer Überseestadt. Seitdem habe ich deutlich weniger Zeit und Lust zu schreiben und auch deutlich weniger Räder für mich selber aufgebaut.

Der eine hat heute einen Radladen, der andere fährt Ferrari. Aber vor 30 Jahren saßen wir noch gemeinsam auf der Schulbank in Tokyo.

Na gut, also wenn ich mal von dem Giant TCR Advanced Pro, dem Wilier Cento 10 Pro, dem Orbea Avant, dem Ridley Kanzo Speed und dem Orbea Alma M25 absehe – aber das waren, mehr oder minder alles Räder von der Stange oder aus dem Karton, die wenig Kreativität erforderten und dann auch entsprechend wenig orginell wurden.

Anfang des Jahres kam mir die Idee, den Fokus im Geschäft etwas weg von Rennrädern und mehr auf MTBs zu legen. Rennräder laufen gut, aber wir wachsen und es gibt in Bremen und Umgebung wirklich keinen Laden, der mehr als zwei MTBs über 2.000 Euro zum ausprobieren da hat. Na gut, es gibt auch weniger als zwei Berge in Bremen und Umgebung, genauer gesagt gar keinen. Aber trotzdem haben eine Menge Leute hier MTBs mit denen sie im Wald herumkurven, in die Harburger Berge oder in den Harz fahren – und denen muss geholfen werden.

Nur Fliegen waren schöner – in den Siebzigern auf dem Landwehr Trail

Von MTBs habe ich leider so gar keine Ahnung. Das nächste was daran kommt war ein umgebautes BMX Rad mit dem ich als Teeny über selbstgebaute Hindernisparcours in unserem Garten und über den legendären Landwehrtrail in Mönchengladbach gefahren bin. Also habe ich mir das Orbea Alma zugelegt und probierte es aus, zunächst auf dem Weg von zuhause zur Arbeit: Ui, das machte ja richtig Spaß! Statt an der Weser lang fuhr ich nun auf Sandwegen durch den Bürgerpark, machte Abstecher über Wiesen oder fuhr sinnlos Hügel in den Wallanlagen rauf und runter. Ein MTB schafft ganz neue Wege und Möglichkeiten und ich war wirklich begeistert, zumal es auch nicht sooo viel langsamer auf der Straße rollte. Also nächster Schritt: ab in den Wald.

Und so fuhr ich eines Tages an der Weser nach Süden Richtung Okel, um dort im Wald zwischen Syke und Goldplatz die Trails anzutesten. Damit ich auf der Straße gut rollte hatte ich die fetten Reifen recht gut aufgepumpt und bald bot sich die erste Gelegenheit von der Straße abzubiegen und in den Wald zu saußen. Ui, das machte nun auch super Spaß! In der Wolfsschlucht probierte ich dann schon einige gewagtere Abfahrten aus und machte mich dann auf einem kleinen Trail Richtung Syke, den hatten wohl MTBler angelegt, denn an einer Stelle verzweigte er sich: Links ging es einfach weiter runter, rechts war eine Mini Sprungschanze, vielleicht so 20 cm über dem Boden. Hey, springen – das hatte ich ja schon 40 Jahre nicht mehr gemacht, geil.

Hätte ich auch lieber lassen sollen.

Ich weiß nur noch, wie ich auf einmal senkrecht aber verkehrt rum in der Luft stand und dann mit dem Kopf voll auf den Boden schlug. Der Schmerz machte mir gleich klar, dass der nicht nicht einfach ignoriert und erst einmal weiter gefahren werden kann. Ich fuhr irgendwie aus dem Wald raus, rief meine Frau an und die brachte mich nach Bremen ins Krankenhaus.

Über die Erfahrungen dort gäbe es eine Menge zu schreiben, aber das ist ja hier ein Blog über Räder und nicht Spahns Health Care System Blog. Jedenfalls war das Ergebnis meines wagemutigen Experiments zwei gebrochene Halswirbel und eine zermatschte Bandscheibe. Zwei Wochen Krankenhaus, eine OP und 4 Titan Schrauben und eine Klammer (ich hoffe Dura-Ace Specs) später geht es mir schon wieder ganz OK. Allerdings kann ich meinen Hals nicht mehr besonders gut nach rechts und links, und schon gar nicht nach oben verdrehen. Die Physio wird da sicherlich noch einiges richten, aber Rennradfahren kommt erst mal nicht in Frage. Bei der typischen Rennradhaltung sehe ich nur Asphalt vor mir, da ich den Kopf nicht hoch genug bekommen.

Ich brauchte also ein neues, behindertengerechtes Rad.
Enter Trek Chefpoint.

Enter Chefpoint

Zur Zeit sind „Gravelbikes“ extrem gehypt. Ein Gravelbike ist so etwas wie eine Eierlegendewollmichsau, will sagen, man kann damit auf der Straße fahren, im Gelände, bei Regen zur Arbeit oder mit Gepäck auf Radtour. Was man damit nicht macht ist eigentlich nur eins: Lange Strecken nur auf Gravel fahren, denn das gibt es, im Gegensatz zu den USA hier weniger. Ein Gravelbike ersetzt also vier Räder und ist ideal für Menschen die sich nicht entscheiden können. Meist verkaufen die sich als Alurahmen mit Shimano GRX400 oder GRX600 Ausstattung für Preise zwischen 1.500 und 2.000 Euro. Typische Gravelbikes sind das Ridley Kanzo A, das Orbea Terra und eben das Trek Checkpoint.

Die extreme Flexibilität eines Gravelrades hat natürlich auch einen großen Nachteil: So ein Rad kann nichts richtig: Auf der Straße ist es lahmer als ein Rennrad, im Gelände nicht so leicht zu fahren wie ein Fully MTB, in der Stadt wird es gerne geklaut und so weiter; es gibt ja eben auch einen Grund, dass noch Rennräder, MTBs etc., gebaut werden. Viele Menschen die ein Gravelbike wollen, wären mit einem Rennrad besser bedient, denn eigentlich fahren sie fast immer auf der Straße und brauchen nur etwas dickere Reifen, eine entspanntere Haltung und ein paar Ösen. Die kaufen dann ein Marathon Rennrad, auch wenn (weil sinnvollerweise aus Carbon) das teurer ist.

Der Aufbau

Ich brauchte jetzt auch etwas mit einer entspannteren Haltung, dicken Reifen und der Möglichkeit Schutzbleche anzubauen, und dafür besorgte ich mir (man kann ja) einen Trek Checkpoint ALR Rahmen. Das Checkpoint hat sogenannten „Stranglehold“ Ausfallenden, d.h. man kann die Steckachse des Hinterrads nach hinten verschieben, so dass auch ein Singlespeed Aufbau möglich ist.

Ich wollte schon immer einmal Rene Herse/Compass Reifen ausprobieren. Das sind extrem dicke 50 mm Reifen mit extraweichen Flanken die, wenn tubeless gefahren, auch nicht langsamer rollen sollen als Rennradreifen. Das behauptet jedenfalls Jan Heine, der Herausgeber von Bicycle Quaterly. Wenn es nach Jan Heine gehen würde, dann würden wir alle auf französischen Stahlrahmen mit Mittelzugbremsen und dicken Reifen fahren, denn seit den Fünfziger Jahren hat sich technisch nichts mehr sinnvolles getan, Genau wie die Jugend werden auch die Räder von heute immer schlechter – Jan Heine ist da sehr streng in seinen Ansichten. Aber hey, das heißt ja nicht, dass er komplett unrecht hat, also wollte ich gerne einmal die Reifen selber fahren, um mir ein Urteil zu bilden.
Dafür suchte ich mir eine Kombi aus stabilen Shimano Gravel Laufrädern GRX570 in 650B, Rene Herse Switchback Hill Reifen mit 48 mm Breite extralite in Naturflanke und Campagnolo Bremsscheiben aus. Zu dem Gesamterlebnis später mehr.

Just another brick in Walle

Wichtig war mir auch eine gute Bremse, deshalb griff ich dann gleich zu einer Deore XT Vierkolbenbremse vorne und einer etwas einfacheren Version hinten, da sich die MTB Bremssättel nur mit viel Aufwand oder gar nicht am Hinterbau montieren lassen. Gestern bin ich mal wieder Rennrad gefahren mit einer „normalen“ Scheibenbremsen und hey, da fühle ich mich nun echt ein wenig unsicher mit – ganz zu schweigen von einem Rad mit Felgenbremse. Soviel zur Entwicklung der Technik.

Beim Antrieb wollte ich auf jeden Fall auf Singlespeed gehen und ein sehr schönes Factory 5 Track Kettenblatt verbauen. Da die Kettenstreben des Checkpoints aber sehr breit bauen musste da dann letztendlich doch eine GRX Kurbel dran komplementiert mit MKS Allways Pedalen.

Eine 46/15 Übersetzung für die Stadt schien mir OK, und so habe ich ein 11-fach 15er Ritzel aus einer Shimano 105er Kassette genommen und das ganze mit einer 11-fach KMC X11EL Kette kombiniert. Auch keine gute Idee, denn das Ritzel hat eingefräßte Schaltungshilfen, die dafür sorgen, dass die Kette recht gerne abspringt. Nachdem das eine Weile mächtig genervt hatte besorgte ich mir ein dickeres 1/8 einfach Ritzel aus dem Versand und baute das mit der entsprechenden Kette um und seitdem funktioniert das wunderbar.

Um zuletzt noch den Komfort zu erhöhen verbaute ich eine Pro Vibe Carbon Stütze mit 27,2 mm Durchmesser und 20 mm offset und einen neueren Fizik Argo Sattel. Da sind diese neuen sehr kurzen Sättel (gegen die ist ein klassischer Fizik Arione ein Torpedo) die relativ breit sind und große Ausschnitte haben, ahnlich wie der Prologo Dimension 143 oder der Pro Stealth. Man muss sich die Dinger schön gucken aber dann passt es schon.

Zum Komfort gehört auch ein Riser Bar der ordentlich nach oben aufbaut von Renthal und Ergon GA1 Griffe in passendem Orange. Außerdem, seitdem nun der Herbst seit heute in Bremen begonnen hat, auch ein paar breite schwarze Metallschutzbleche. Und schon war der Aufbau fertig. Und wie fuhr er sich nun?

Die Fahrt

Obwohl das Rad mit knapp über 8 kg recht leicht geworden ist und es sich schön fluffig fährt ist es mal definitiv nicht so schnell und leichtfüßig wie ein gutes Rennrad. Es ist, auch im Vergleich zu meinen Stahl Fixies, eben nicht so einfach auf Geschwindigkeit zu bekommen und verhält sich weniger agil. Kurz, es motiviert weniger dazu schnell zu fahren. Soviel zu Jan Heine.

Das heißt aber nicht, dass es ein schlechtes Rad ist; es ist eben nur auch kein Rennrad. Zunächst einmal sind die dicken Reifen toll. Der Komfort auf den schlechten Straßen von Bremen ist einmal phänomenal. Ich brauche keine Angst mehr zu haben vor Schienen oder Bordsteinen und kann diese auch problemlos schräg anfahren. Wegen der Tubeless Reifen brauche ich mir auch keine Sorgen um Durchschläge zu machen. Aber damit nicht genug, die dicken Reifen machen es auch möglich schnell auf nicht asphaltierten Wegen zu fahren oder einen Abstecher über den Rasen zu machen. Daher gehört jetzt ein Abstecher auf den Fußwegen durch den Wald im Bürgerpark zu meinen quasi täglichen Routen. Die Federung ist wirklich gut und das macht das Fahrerlebnis, in Kombination mit der entspannten Haltung und dem breiten Lenker sehr angenehm.

Ich kann mir allerdings auch gut vorstellen doch wieder eine Schaltung zu verbauen, wir würden sogar 7 oder 8 Gänge reichen. Aber eine 1:3 Übersetzung ist einfach zu schwer zum ständigen anfahren in der Stadt und bei ca. 30 km/h wird dann die Trittfrequenz doch auch arg hoch. Ich mag das Fixie fahren, weil ich dann ohne Bremsen die Geschwindigkeit senken kann, aber Singlespeed? Macht wenig Sinn.

Was leider wirklich nervt ist der tubeless Aufbau. Obwohl die Felge Tubeless-ready ist, die Reifen ebenfalls dafür ausgelegt und intensiv getränkt wurden vor der endgültigen Montage und die gute Stan’s no tube Milch verwendet wurde erweicht da einfach viel zu viel Luft. Ich muss morgens einmal vor der Fahrt zum Laden und dann auch noch Abends einmal vor der Rückfahrt pumpen. Nachdem ich da letztens noch einmal gefühlt einen Liter Dichtmilch reingepresst habe geht es nun, aber diese „Tubeless-Restangst“ ist immer noch da.

Letztens war ich mit dem Rad mal im Gelände, anlässlich eines Cyclocross Trainings unseres Ladens. Auch da ist die 3:1 Übersetzung nicht wirklich hilfreich. Und was mich auch nervt ist das Kurvenverhalten: Werden die Reifen mit 3 bar oder mehr aufgepumpt, fährt sich das Rad in Kurven sehr sicher, auch wenn ein Rennrad mit 25mm Reifen besser auf der Straße liegt. Allerdings ist der Federungskomfort oberhalb von 3 bar auch nicht mehr so gut.

Zwischen 2,5 und 3 bar ist die Federung gut und das Kuvenverhalten ist OK. Also nicht großartig, aber OK. Unterhalb von 2,5 bar fängt das Rad in dem Kurven an zu schwimmen. Das wundert mich, denn ich bin wirklich nicht der MotoGP Schräglagenfahrer. Liegt das an mir und meiner Fahrtechnik? Liegt es an dem Rad? Ich weiß es nicht.

Mittlerweile habe ich das Rad fertig für Herbst und Winter gemacht: 47 breite schwarze Metallschutzbleche sind montiert und vorne leuchtet eine Cateye Gvolt 50 Lampe in Kombination mit einer Fabric Lumaray V2 , die brauche ich, um auf einem Garminhalter einen Wahoo ELMNT zu montieren. Und hinten benutze ich bereits seit längerem die Cateye Rapid X2 Kintec, ein Rücklicht mit einem Beschleunigungssensor. Wenn ich bremse, wird das Licht heller, in etwa wie das Bremslicht eines Autos, um dann noch 3 bis 4 Sekunden wieder normal hell zu leuchten. Ein japanischer Ingenieur von Cateye, der einmal bei mir im Laden zu Besuch war, hat mir eine in Deutschland nicht zugelassene Version davon geschenkt.

Um damit auch mal mit Cleats fahren u können, habe ich letztens die MKS Allways Pedale gegen Crank Brothers Double Shot 1 getauscht. Das sind Hybrid Pedale, also auf der einen Seite Plattform, auf der anderen Seite für Cleats. Ich bin kein Fan von Hybridpedalen, aber diese funktionieren OK. Besonders erfreulich ist das extrem leichte Ausklicken, wenn die entsprechenden Cleats (Easy 6) von den Crank Brothers montiert werden.

Das Rad wird mich gut durch den Herbst und Winter bringen und dann sollte so langsam klar werden, wo die körperliche Reise hingeht.

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