Als Japaner in Bremen

Ein paar Wochen später nach dem letzten Rennen in Saiko, schickte mir der JCRC per Einschreiben das Siegertrikot 2008 zu, eine wilde Melange aus Streifen verschiedener Farben die sich wild um meinen Astralkörper wickeln in dem verzweifelten Versuch ihn visuell auszublenden. Zum Glück bin ich groß und breit genug, dass die Namen aller Rennnen untereinander auf die Vorderseite passen. Der sehr japanische Touch an dem Trikot besteht darin, dass dort „2008 Road Serise Champion“ draufsteht – so wie eigentlich immer fehlerhaftes oder sinnloses Englisch auf japanische T-Shirts gedruckt wird: „Visit our rooftop Beerkeller“.

Während ich 2008 nur Road Serise Champion wurde, wurde Ludwig 2009 sogar Road Series Champion. Seriously.

Ich trug das Trikot ein paar Mal auf Ausfahrten, kam mir aber blöd damit vor. Ich achtete peinlich darauf das Trikot niemals bei JCRC Rennen zu tragen, damit die Erwartung an meine Leistungsfähigkeit nicht übermäßig groß wurden. Im Prinzip hing ich da Ding in einen Schrank, wo es zusammen mit der Medaille die ich ebenfalls noch bekommen hatte verstaubte.

Ein paar Wochen nachdem ich nun Champion geworden war, war dann auch bei der Arbeit Schluss – aber ich brauchte den Dienst BMW ja ohnehin nicht mehr um auf Rennen zu fahren und richtig arbeiten tat ich ja schon seit Wochen nicht mehr. Ich konnte mich dann ganz einen Leben auf dem Rad widmen, was aber irgendwie auch nicht so wahnsinnig erfüllend ist. Also begann ich zusätzlich an verschiedenen japanischen Hochschulen zu unterrichten, unter anderem an der ICU, International Christian University. Erinnert sich jemand noch an den Anfang des Buches? Da fuhr ich 1990 nachts ab und an auf dem Rad zu meiner Freundin die dort studierte, so schloss sich also wieder der Kreis. Ohne dass ich dies damals ahnte, ebnete mir dies den Weg in eine akademische Karriere. Irgendwann bewarb ich mich, eher spaßeshalber, auf eine Professur an einer neu gegründeten privaten Hochschule in Bremen. Ich rechnete nicht ernsthaft mit einer Antwort, zumal ich auch nicht promoviert war, was an sich eine Grundvoraussetzung für so eine Stelle ist. Aber mit den guten Referenzen aus Japan, einer lustigen Probevorlesung über den Fischmarkt in Tokyo und mit viel Blabla bekam ich tatsächlich diesen Job. Das bedeutete dann natürlich den Umzug nach Bremen und das Ende einer langen Lebensperiode in Japan.

Natürlich machte mir das auch ein wenig Angst. Ich hatte ja doch eine Menge japanischer Eigenschaften angenommen, war darüber hinaus mit einer Japanerin verheiratet und hatte zwei halbjapanische Kinder. Und Bremen, lag das nicht in Norddeutschland, wo die Menschen, im Gegensatz zu uns Rheinländern, eher wenig reden und so gar keinen Humor haben? Und es Sushi Restaurants gibt, die von Vietnamesen betrieben werden? Und würden die Menschen mich dort als japanischen Meister, D-Klasse, 2008, respektieren?

In Japan machte ich noch ein paar schöne Fahrten durch die Berge zum Abschluss, weil ich bereits ahnte, dass es diese in Bremen und näherer Umgebung nicht geben würde. Ende April 2010 gab es einen offiziellen „Sayonara Ride“ zu dem ein Haufen Freunde kamen.

Sayonara Ride April 2010.

Dann packten wir unsere Koffer. Das heißt, eigentlich packten wir keine Koffer, sondern unseren ganzen Kram in einen 40 Fuß Container, der sich dann auf den Weg nach Bremen machte. Mein Job war es nun mit dem Flugzeug nach Bremen zu fliegen und eine Wohnung zu finden, bevor der fette Container mit dem Schiff im Hafen hier ankam.

Im Rückblick muss ich sagen, war die erste Zeit in Bremen nicht einfach. Keiner wollte mit mir sprechen. Oder mit irgendjemand anderem, so kam es mir jedenfalls vor. Ich ging zum Bäcker und sagte „Ich hätte gerne ein Croissant“ und die Frau auf der anderen Seite der Theke sagte nur „Aha“. Ich fuhr meine erste RTF (Radtourenfahrt) von 210 km Länge mit einem mir unbekannten Norddeutschen. Nach 150 km kamen wir an eine Verpflegungsstelle und er fragte mich: „Willst Du was essen?“ Ich sagte ja, und fuhr von der Straße ab auf den Parkplatz, stellte mein Rad ab und drehte mich um nach ihm. Aber da war niemand. Er wollte nämlich nichts essen und fuhr weiter, hielt es aber nicht unbedingt für nötig dies auch zu sagen. Norddeutsche halt.

In Bremen regnet es viel, es gibt keine Berge und kein gutes Essen das ich fotografieren müsste, aber ansonsten ist es schon ganz OK hier. Der Mangel an gutem Wetter bietet dann auch die Chance zuhause zu sitzen und ein Buch zu schreiben. Warum ich 12 Jahre brauchte, um damit anzufangen kann ich im nachhinhein auch nicht verstehen, würde ich aber einmal als Akklimatisierungsphase umschreiben.

Alles an dieser Geschichte ist komplett wahr. Bis auf die Dinge die ich mir komplett ausgedacht habe. Damit ist dieses Buch komplett ready.

Mein Dank gilt den Freunden, mit denen ich beim Radfahren in Japan so viele unvergessliche Erlebnisse hatte: David, david, Juliane, Tom, Ludwig, Goro, Alain und viele andere.
Und natürlich Jacques Daumont, wenn das überhaupt sein richtiger Name sein sollte. Ich habe keine Ahnung, was aus ihm geworden ist.

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