In Rennradtests sind oft Passagen wie „extrem steifer Rahmen“ oder „niedriger Luftwiderstand“ zu lesen. Schön, aber, wer möchte schon ein steifes, windschnittiges Rad, wenn er doch eigentlich ein schnelles haben will? Das Durcheinander des banalen und das ewige Wiederholung des vielfach gesagten lenken davon ab, dass ein Rennrad an sich recht simpel beschrieben werden kann:
Schnelligkeit, Komfort, Kurvensicherheit, Agilität, Resonanz und Flexibilität.
Und sollte.
Ich habe ein Problem mit Testberichten. Beispiel:
„Das recht schlanke und sich zur Sattelstütze hin verjüngende Sitzrohr sorgt über dem PressFit-Tretlager noch recht kantig für satte Steifigkeitswerte, verändert seine Form dann ins Ovale und verjüngt sich in Richtung Sattel.“ (Roadcycling)
Aha. Abgesehen davon, dass sich das Sitzrohr ins unendliche zu verjüngen scheint, wird dieser Satz länger und länger und hilft dem Leser gar nicht bei der Beantwortung der Frage: „Ist das nun gut und für was?“ Bestenfalls lesen wir „steif“, und da es sich beim Radsport um eines der wenigen Themen im Leben handelt, bei dem wir das Wort positiv assozieren, finden wir das toll. Oder eben relativ nicht:
„Das Cannonndale CAAD 12 hat komplett überarbeitete Speed Save Streben am Hinterbau: Das seitlich hochsteife Mikrofederungs-System ist im Vergleich zum CAAD10 in vertikaler Richtung um ganze 50% nachgiebiger geworden.“ (follow me)
Dabei ist die Sache doch so simpel. Wir wollen ein schnelles Rad, nicht eins, dass 50% steifer ist als irgendetwas anderes, ein geringes Gewicht hat als die Marke X, oder ovalisierte, asymmetrische Kettenstreben. Oder wir wollen ein komfortables Rad, nicht eins, dass ein hohes Steuerrohr besitzt, Clearence für 28 mm Reifen hat, oder eine Sattelstütze aus Basaltfasern. Das Rad muss nicht neu erfunden werden, der Radjournalismus leider schon.
Also müssen wir leider ganz weit vorne anfangen und die Frage stellen: Was ist heute überhaupt ein Rennrad? Das lässt sich einfach beantworten: Das ist ein Rahmen von einer Marke, von denen es viele gute gibt, an den immer wieder die gleichen guten Komponenten geschraubt werden, von denen es nur recht wenige gibt.
Bei den Schalt- und Bremsgruppen gibt es lediglich drei Hersteller, Shimano, SRAM und Campagnolo die mit ihren 12 (ernsthaften) Gruppen gefühlte 99% aller bezahlbaren und bezahlenswerten Rennräder abdecken. Bei den Laufrädern gibt es etwas mehr Vielfalt und der Rest ist, auch wenn man das nicht so schreiben sollte, sehr gleichartig und unwichtig für die Gesamtfunktion: es unterscheidet sich nur in Design, Brand Image, Preis und Gewicht. Das ist trotzdem wichtig für den Geschmack, aber nicht entscheidend für eine gute Funktion.
Ich bin es leid in Testberichten die immer gleiche Beschreibung einer verbauten SRAM Force Gruppe zu lesen, etwa:
„SRAMs neue Gruppe ist leicht und schaltet sich direkt und komfortabel. Ohne großen Kraftaufwand wechseln Schaltwerk und Umwerfer Ritzel und Kettenblatt, wobei vor allem der Umwerfer dank seiner ausgefuchsten Geometrie auch mit extremen Kombinationen gut zurechtkommt ohne zu schleifen.“
Man möge das doch bitte einmal schreiben, abheften und dann mit einem Hyperlink zu jedem Rennradtestbericht verlinken an dem die jeweilige Gruppe verbaut ist und der jemals geschrieben wurde oder geschrieben wird. Ähnlich ist es mit Laufrädern. Mavic Aksium Laufräder sind zu Tode leicht negativ beschrieben worden. Hier einmal eine der netteren Versionen:
„Zwar sind die Mavic Aksium nichts für schwere Bergrennen, trotzdem ist ihr Einsatz bei einem Marathon oder Jedermannrennen nicht komplett abwegig.“

Mavic Aksium: Etwa so cool wie Jingler Jeans von C&A in den Siebzigern.
Komplett abwegig ist es allerdings bei jeden Testbericht dasselbe zu schreiben. Also, das bitte auch in den Leitz, oder besser in den Elba Ordner. Lässt man also das weg, was bereits vielfach gesagt wurde, bleibt der Rahmen übrig. Das war ja auch von Anfang an klar, denn wenn jemand ein Rennrad kauft und mit diesem und jenem nicht zufrieden ist, dann tauscht er einfach den Sattel oder den Lenker aus, bis es passt. Das ist nach wie vor das Rad, das er sich gekauft hat. Kauft er sich aber vor lauter Verzweiflung einen neuen Rahmen, oder gar ein neues Rad wird gar nichts ausgetauscht, sondern eben neu gekauft. Das ist ein neues Rad.
Es ist erstaunlich, wie wenig man mit einem Rennrad machen kann, sagen wir mal im Vergleich zu einer Plastiktüte. Es gibt Räder für andere Zwecke, zum Beispiel Klappräder, MTBs, Lastenräder oder Triathlonmaschinen, die sind aber hier ausgeschlossen, denn niemand käme auf die Idee von einem Rennrad zu verlangen, dass es die Bierkisten zurück in den REWE fährt, oder in einen Reisekoffer nach Mallorca mitgenommen werden möchte. Mit Rennrädern will man schnell unterwegs sein, gar kein oder wenig Gepäck dabei haben und kürzere oder längere Strecken auf überwiegend asphaltierten Strassen zurücklegen. Manchmal geht es hoch, manchmal runter, manchmal scheint die Sonne und ab und an regnet es auch. Ist hier irgendetwas wesentliches vergessen worden?
Was jemand dabei öfter macht als andere ist verschieden und bestimmt, ob ein Rad letztendlich passt und gut für jemanden ist: Es passt auf die Sache, die damit am häufigsten unternommen wird. Der eine braucht ein Rad, um damit an Jedermann-Rennen teilzunehmen, der andere fährt lieber RTFs oder Freitag nach der Arbeit in der Frauen- und Anfängergruppe. Der dritte wohnt in Bayern in der Bergen, und der vierte fährt durch den Regen in Norddeutschland. Ehrlich gesagt glaube ich ja, dass die meisten von uns „trainieren“, entweder alleine oder in der Gruppe und alles andere eher selten ist.

Radtraining.
Wenn man das erst einmal akzeptiert, lassen sich die wichtigen sechs Eigenschaften eines Rennrads sehr simpel beschreiben:
Das Rennrad beschleunigt schnell.
Es ist irgendwie steif, aerodynamisch, hat innenverlegte Züge, wiegt fast nichts – all dies sind nur die Ursachen, aber am Ende ist die Wirkung immer: Das Rad beschleunigt schnell. Und Rennräder die sich schnell beschleunigen lassen, fahren in der Regel auch schnell weiter.
Das Rennrad ist komfortabel
Komfortabel ist zweiseitig. Der Rahmen, bzw. die Kombination von Rahmen, Laufrädern, Reifen, Sattelstütze etc. schlucken die Unebenheiten der Straße gut weg. Ein guter Test dafür ist einmal volles Tempo mit dem Rad über das Pflaster der Parkstraße im Viertel zu fahren. Sind sowohl Oberarm- als auch Oberschenkelknochen noch in den Gelenken von Schulter und Becken verankert so ist das Rad komfortabel genug.
Die andere Seite des Komforts ist die Sitzposition und alle Berührungspunkte zwischen Fahrer und Rad: Sattel, Lenker und Pedale. Die Sitzposition ist im wesentlichen eine Frage der gewählten Rahmengrösse und der verbauten Komponenten, wie z.B. dem Vorbau. Das ist daher keine Frage des Rennrades selber, sondern von austauschbaren Komponenten. Ein Rennrad ist nicht unkomfortabel, nur weil es vom Werk mit einem 140 mm Vorbau ausgeliefert wurde und man nun draufliegt, als wenn man auf einer Luftmatratze gen offenes Meer paddeln würde.
Natürlich gibt es auch Räder, die eine „aggressive Racing Geometrie“ haben. Zum Glück werden diese oftmals auch mit gigangtischen Spacertürmen ausgeliefert um das wieder auszugleichen.
Das Rennrad liegt sicher in der Kurve
Gerade für Fahrer die in den Bergen radeln und dann nicht nur hoch, sondern auch wieder runter wollen, ist es wichtig, dass man auf einem Rennrad schnell durch eine Kurve fahren kann, eventuell dabei durchtreten kann, ohne dass man sich unsicher fühlt. Das kann auch in Rennen wichtig sein, beispielsweise im Peloton wo man nicht aus der Kurvenlinie auscheren kann, ohne sich und andere zu Fall zu bringen.
So gerne ich alte Räder mag, meine Canyon Carbonmöhre ist in diesem Punkt allen anderen Rädern, die ich bislang gefahren bin, um Nanofasern voraus.
Das Rennrad ist agil oder stabil
Wie schnell und nervös reagiert reagiert ein Rennrad auf Lenkbewegungen? Während sich die Frage, wie schnell ein Rennrad beschleunigt, sich immer mit der Bewegung nach vorne beschäftigt, ist Agilität die Bewegung nach links und rechts. Manche brauchen ein Rad das extrem nervös ist, andere lassen schon mal ganz gerne die Finger vom Lenker und essen einen Energieriegel. Dabei möchten sie, das das Rad ganz von alleine schön stabil seinen Weg zum Ziel in 200 km Entfernung findet.
Das Rennrad hat Resonanz
Resonanz ist, wenn man sich aus dem Sattel begibt, in den Wiegetritt geht und das Rad genauso leicht nach links und rechts schwingt, wie der Körper in der Mitte bleibt. Ein Mountainbike macht es einem nicht so leicht, ein Moulton Klapprad schwingt mit einer anderen Frequenz und manche Rennräder wollen eben partout nicht den Berg hochgetrieben werden.
Das Rennrad ist flexibel
Flexibilität bedeutet, dass man mit seinem Rennrad auch einmal andere Dinge machen kann, als man es gewöhnlich tut. Zum Beispiel im Regen zu fahren – kann man also an dem Ding vernünftige Schutzbleche montieren? Oder in die Stadt fahren – da darf es nicht so auffallen und sollte keine Klickpedalen haben. Oder doch mal über Waldwege zu brettern – passen da also irgendwie 700c x 28 Reifen rein? Flexibilität ist immer dann wichtig, wenn man mehr als eine Sache mit seinem Rad unternimmt. Da Rennräder per se nicht sonderlich flexibel sind, haben wir ja alle noch MTBs, Fixies, Stadt- und Winterschlampen in der Garage stehen, sowie das N+1te Traumrad in Planung .
Ich würde mir also den Testbericht wünschen, in dem schlicht und simple diese sechs Eigenschaften (Wirkung) eines Rennrads beschrieben sind. Und dann kann ja gerne noch erklärt werden, warum das so ist (Ursache), aber bitte so, dass ich (als Ingenieur) verstehe, warum ovalisierte Sitzrohre welche Wirkung haben. So einfach könnte das sein.
Relativ
All dies ist relativ. Deshalb gibt es ja Referenzen, oder Standards. Oft liest man ja, dass z.B. der Cervelo Rca Rahmen die Referenz für Gewicht (bzw. das Fehlen davon) ist. Das ist genau richtig, damit man das gut beurteilen kann. Urteilen ist fast immer relativ und selten absolut. Man merkt das bei Parties in dem man unwillkürlich abschätzt, welche der anwesenden Frauen am besten aussieht. Oder auf dem Bauernhof, wo ich eine zweimonatige (durch den Bauern abgekürzte Lehre) absolvierte und am Ende, vergleichsweise, die Bäuerin auch relativ hübsch fand. Man braucht eben Punkte am Wegesrand denen man vertraut und an denen man sich orientieren kann.
Die eigenen Räder sind zum Vergleich am besten denn diesen Punkten kann man vertrauen.
Gefallen und Spaß
Damit ist die Frage geklärt, was ein gutes Rennrad ist. Es ist aber nun nicht so, dass ein gutes Rennrad einem auch gefällt oder Spaß macht. Hier spielen Fragen des Geschmacks eine wichtige Rolle: Es ist eben doch wichtig, ob nun Campagnolo oder Shimano an das Rad kommen, oder ob der Oberlenker nun schwarz oder blau umwickelt wird. Davon lebt ein Rad und das ist auch gut so. Dadurch verkaufen sich De Rosa Rennräder und Zipp Laufräder. Ab und zu ertappe ich mich, wie ich auf das Unterrohr meines Canyons starre und denke „Mein Gott, ist das Teil häßlich“. Ich glaube, dass je mehr man die Möglichkeit hatte, sein Rad mit Komponenten nach eigener Vorstellung zu bauen und somit zu „individualisieren“, es einem am Ende um so mehr gefällt.
Und zuletzt kommt es auch auf einen selber an: Manchmal hat man gute, manchmal schlechte Tage und weiß nicht warum. Mich erinnert das an LSD Diskussion in den Siebzigern, da wurde zwischen „Set“, also der Qualität der Droge und „Setting“, dem derzeitigen Geisteszustand, oder der Laune unterschieden. Nur wenn beides gut ist, kann die Reise ins eigene Kharma…blablabla, ich hör dann mal auf, ist vermutlich schon verstanden.