Vulkanausbruch auf Lummerland

Für das nächste Rennen hatte sich der JCRC etwas ganz besonderes ausgedacht: Einmal rund um einen aktiven Vulkan auf einer abgelegenen Insel – vorzugsweise mit aufgesetzten Gasmasken. Doch alles der Reihe nach.

Eigentlich war es auch nicht das nächste Rennen. Es hab noch eines auf einem flachen, 1 km langen Kurs in der Nähe von Chiba bei dem ich aus dem Hauptfeld herausfiel, aber trotzdem noch 15. von 22 Fahrern wurde. Aber dann ging es auch gleich weiter auf die Insel.

Miyakejima gehört zu der Gruppe der Izuinseln und liegt etwa 180 km südlich von Tokyo. Im Prinzip ist das keine Insel, sondern ein Vulkan im Meer an derem Küste sich Menschen angesiedelt haben, aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer. Im letzten Jahrhundert kam es immer wieder zu Ausbrüchen bei denen Lavaströme die Ortschaften zerstörten. Wer dann noch nicht tot war, den erwischten die giftigen Schwefelgase, die aus den unzähligen Spalten und Löchern auf der Insel wabbern.

Der letzte große Ausbruch datiert aus dem Jahr 2000; damals wurden sämtliche Einwohner nach Tokyo gebracht, denn administrativ gehört die Insel zur Stadt Tokyo. Das ist in etwa so, als wenn ein Erdrutsch droht ein Dorf in den bayrischen Alpen zu zerstören und alle Einwohner werden nach Berlin Kreuzberg evakuiert, wo sie dann die nächsten fünf Jahre verbringen müssen. 2005 durften die Einwohner wieder zurück nach Miyakejima.

Es ist schwierig einen Ort zu finden, der sich dermaßen schlecht für die Organisation eines Radrennens eignet, genauso gut könnte man eine Fußball WM in der Wüste durchführen. Erklären lässt sich das nur dadurch, dass Geld von der Tasche A in die Tasche B wandert. Für mich war das allerdings ein echter Glücksfall, denn es sollte nicht nur ein Wertungsrennen, sondern sogar zwei auf Miyakejima durchgeführt werden: Ein Bergrennen und ein normales Rennen auf einem Rundkurs. Und da ich davon ausging, dass nicht viele Konkurrenten Lust hatten ein ganzes Wochenende auf der Fähre hin und zurück und dazwischen an den Ufern eines brodelnden Vulkan zu verbringen, rechnete ich mir gute Chancen aus auch mit zwei letzten Plätzen ganz nach vorne in der Gesamtwertung zu kommen.

Die Fähre verließ Tokyo Freitagnacht und mit Juliane, david und Stephen hatte ich lustige Begleitung dabei. So lustig, dass wir die halbe Nacht mit viel Alkohol draußen auf dem Schiff verbracht und die andere Hälfte in halbverenkten Stellungen auf dem Vinylboden der unteren Klassen. Als wir morgens aufwachten sahen wir die Insel am Horizont und als wir näher kamen hatten wir dann auch gleich diesen beißenden Schwefelgestank in der Nase, der uns den Rest des Wochenendes begleiten sollte. Mittlerweile ging die Besatzung herum und verteilte Gasmasken, die wir doch bitte zu unserer eigenen Sicherheit auf der Insel immer dabei haben sollten.

Der Hafen selber war teilweise von den Lavaströmen des 2000er Ausbruches zerstört worden, die Anlagen waren noch in Betrieb, aber leben tat hier keiner mehr. Was hat man für einen Eindruck von einem Ort, der aus zerstörten und zerfallenen Häusern besteht, menschenleer ist, stark nach Schwefel riecht und den man nur mit einer Gasmaske in der Tasche betreten darf? Das war wie eine Vision des Japans von übergestern.

Ein Bus brachte uns zu unserer Pension, einem kleinen Holzhaus in der Nähe von Start und Ziel. Die Pension hatte bessere Tage gesehen und war ziemlich runtergekommen. Als wir in unser Zimmer kamen, schlug uns ein penetranter Gestank von Schimmel entgegen, also rissen wir schnell die Fenster auf. Sofort kam uns der beissende Gestank von Schwefel entgegen – na schön, dann bleiben die Fenster eben doch zu. Wir legten uns erst einmal hin und machten uns dann auf dem Weg zum Strand. Dieser Strand war anders, als alle anderen Strände die ich bis jetzt gesehen hatte, denn er bestand ausschließlich aus mittelgroßen, pechschwarzen Kieselsteinen. Das half dabei unseren schlechten Eindruck von der Inseln zu mindern und wir pennten und platschten vor uns hin. Das Meer war warm genug für Briten, Iren, Deutsche und Ostdeutsche.

Eigentlich hatten wir geplant alle vier an dem Bergrennen teilzunehmen, aber Juliane und david zogen es vor am Strand zu bleiben und so machten Stephen und ich uns auf dem Weg zum Start. Ich war sehr froh, dass Stephen dabei war, denn ich wusste, dass er am Berg noch langsamer war als ich und da wir in der gleichen D Klasse starten würden, gab er mir die Möglichkeit nicht auf dem letzten Platz zu landen.

Das Bergrennen selber war 3,6 km lang und über eine Höhendifferenz von 150 m. Der erste Kilometer war sehr flach und danach ging es mit relativ konstanter Steigung von 5-10% hoch bis zum Ziel, inklusive einiger kurzer, flacher Stücke. Da wir ja den halben Tag am Strand verpennt hatten, konnte ich den Kurs vorher nicht fahren, hatte also keine genaue Ahnung nach welcher Kurve nun das Ziel lag, so dass ich zum Schluss noch einmal alles geben konnte.

Mittlerweile war ich gar nicht mehr so schlecht in Form. Wir waren einen Monat vorher das Tokyo – Itoigawa Rennen gefahren, über 300 km und die japanischen Alpen vom Pazifik zum japanischen Meer. Und ich war sehr viel in den Bergen jenseits von Tokyo unterwegs gewesen, so dass mein Selbstbewußtsein doch merklich gestiegen war. Natürlich war ich immer noch nicht schnell, aber eben schneller als einige andere. An sich war es wie in diesem alten Radfahrerwitz, wo zwei Radfahrer einen Berg runter fahren und plötzlich sehen, dass von unten ein Grizzlybär auf sie zugerannt kommt. Der eine dreht um und will den Berg hoch fahren und der andere schreit: „Glaubst Du echt, dass Du schneller bist als der Bär?“ Und der zweite antwortet: „Nein, aber schneller als du.“

In der D Klasse waren außer Stephen und mir noch sieben weitere Fahrer angetreten. Das Rennen wurde als Einzelzeitfahren ausgetragen; ich startete als Erster direkt nach dem letzten Fahrer der C Klasse und dann die weitere Fahrer aus dem D Feld in Abständen von 15 Sekunden. Stephen sollte der letzte sein.

Hoch motiviert fuhr ich los und auf dem ersten gerade Stück konnte ich fast an den letzten Starter der C Klasse heranfahren, der 15 Sekunden vorher losgefahren war. Ich fühlte mich sooooo gut, ja so musste eine Bergrennen sein! Unglücklicherweise wurde ich doch sehr schnell sehr viel langsamer, sobald der Anstieg begann und innerhalb von Sekunden verlor ich den Fahrer vor mir aus den Augen. Der Anstieg war jetzt bei fast 10% und ich hatte mich natürlich auf dem ersten Stück völlig verausgabt, was sich nun rächte. Zum Glück kam bald wieder ein flaches Stück und der Rest bis zum Ziel war nicht ganz so steil, vielleicht 5%. Aber immerhin, ich wurde nur von einem einzigen Fahrer überholt und nach einer sehr engen Kurve kam dann auch schon direkt das Ziel. Hätte ich das gewusst, hätte ich mich noch mal richtig angestrengt, aber so fuhr ich einfach nur locker über die Linie.

Ich wartete auf Stephen, der ja etwa 2 Minuten hinter mir gestartet war an der letzten Kurve, um ihn noch einmal richtig anzufeuern. Und nachdem auch alle anderen 110 Fahrer oben waren, kamen auch Juliane und david nach. Jetzt war ich doch einmal gespannt, wievielter ich geworden war und wollte unbedingt zum Start fahren, um mir die Ergebnisse anzusehen. Dummerweise war es aber so, dass selbst auf der kleinsten japanischen Insel unmittelbar vor Untergang und völliger Vernichtung immer noch bitte schön die japanischen Regel eingehalten werden müssen. Diese wurden durchgesetzt von eine Gruppe wirklich unfreundlicher Polizisten die die Fahrer mit gezogenem Schlagstock in Schach hielten und zwangen in einer geschlossenen Gruppe wieder ins Tal zu fahren. Das japanische Wort für Schlagstock ist übrigens „Gebarutobo“, das leitet sich ab aus dem deutschen Wort „Gewalt“ und dem japanischen „Bo“ für Stock.

Juliane, die deutlich mehr Erfahrung im Umgang mit unerfreulichen Autoritäten hat als wir alle, ließ die Luft aus ihrem Reifen, täuschte einen Platten vor uns so konnten wir dann doch schließlich zusammen nach der Gruppe fahren wann wir wollten. In aller Ruhe pumpten wir den Schlauch auf und als gute Japaner und um nicht den Zorn der lokalen Gottheiten auf uns zu ziehen, murmelten wir dabei Dinge wie „Danke kleiner Schlauch, dass Du so lange die Luft gehalten hast“ usw.

Endlich unten angekommen schaute ich auf die Ergebnisse: Hm, das war ja gar nicht so übel. Von 110 Fahrer die teilgenommen hatten war ich insgesamt auf Platz 77 gelandet. In der D Klasse allerdings war ich Vorletzter, zum Glück hatte ich mich da auf Stephen verlassen können.

OK, wir hatten also trotz Lavaströmen und giftigen Gasen ausgeharrt, aber jetzt sollte das Unterhaltungsprogramm kommen. Der JCRC organisiert nämlich bei vielen Rennen ein Rahmenprogramm, bei dem mehr oder minder unbekannte, oder nicht mehr bekannte „Talentos“ auftreten. Talentos sind Menschen die angeblich irgendein Talent haben, und wenn auch nur das, ein Talento zu sein; das entspricht in etwa dem B-Promi in Deutschland. Mein Gott was musste ich mir da alles ansehen bei den vielen JCRC Rennen! Höhepunkt jemals war Fuko, ein japanisches Modell mit einer riesigen Oberweite. In Japan werden BHs in Körbchengrößen angegeben, die meisten Japanerinnen bewegen sich da, nach Angaben meiner Frau, im Bereich A oder B. Fuko allerdings hatte P, entsprechend 120 cm. Von ihr bekam ich meine Urkunde überreicht, als ich im Vorjahr den 6. Platz bei einem Rennen in Hitachi-Naka geschafft hatte und in die D Klasse aufstieg.

Naturgemäß gibt es nicht genug Talentos die so verzweifelt sind, dass sie das Risiko eingehen, während ihres Auftritts von einem siedenden Lavastrom hinweggerissen zu werden und so beschränkte sich das Programm auf einen japanischen Schlagersänger Nishikino Akira, ein Comedy Duo namens 360° Monkeys und einem Mädchenduo aus dem Bereich A / B. Wir machten uns daher auf in unser Hotel Schimmelprinz wo zu unserer großen Überraschung Reis und Fisch serviert wurde. Keine so große Überraschung.
Allerdings immer doch dann, wenn Besuch aus Deutschland nach Japan kam. Die typische Reaktion ist dann, wenn am ersten Tag zum Frühstück Fisch und Reis serviert wird: „Oh, Fisch zum Frühstück, mal was anderes.“ Und am zweiten Tag: „Gibt’s in der Nähe einen McDonalds?“ und schließlich am dritten und allen folgenden Tagen: „Schon wieder Fisch? Mir reicht’s!“.

Danach gingen wir in eine japanische Snackbar, denn selbst auf einer Insel mit 2.500 Einwohnern gibt es mindestens vier Snackbars. Wir hatten ja schon gegessen, was eine gute Idee war, denn in einer Snackbar gibt es mitnichten etwas zu essen, sieht man einmal von dem Schälchen Erdnüssen auf dem Cocktailtisch vor einem ab und das unter den Begriff „Tablecharge“ fällt. In Snackbars setzen sich meist ältere Frauen zu einem an den Tisch, tätscheln einem die Knie, zünden Zigaretten an und hören geduldig zu, wenn langatmig über Leben und Schicksal geredet wird. Dazu gibt es Whiskey und Karaoke und nach ein paar Stunden und etlichen Yen weniger geht man gestärkt wieder zurück ins richtige Leben und packt sein Schicksal an.

Am nächsten Morgen hatten wir eine dicke Birne und wachten gerade noch rechtzeitig auf um zum Start zu fahren und uns den 2,5 km langen Rundkurs anzusehen, den wir insgesamt acht Mal fahren sollten. Beim Abfahren stellten wir dann mal wieder fest, dass der ganz schön hügelig war, damit hatte ich so gar nicht gerechnet. Und während wir am Abend vorher Pläne geschmiedet hatten, wie und wann wir aus dem Feld ausbrechen würden, um den Sieg zu sichern, ging es jetzt darum hart zu überlegen wie wir unsere Gesichter wahren könnten. Stephen, david und ich fuhren ja gemeinsam in der D Klasse und wir hatten die großartige Idee nach der 7. Runde die Hände am Zielstrick hochzureissen, uns von Juliane gratulieren zu lassen und dann Knall auf Sack zu verschwinden.

Wie so oft kam uns das gütige Schicksal zur Hilfe: Die Meßstationen auf der Insel hatten eine erhöhte Konzentration von Schwefeldioxid gemessen, so dass es nicht mehr sicher war sich draußen ohne Gasmaske zu bewegen. In der Konsequenz wurde das Rennen abgesagt. Wie genial war das denn, ohne zu fahren bekam in die Punkte für das Rennen geschenkt!

Wir setzen unsere Gasmasken auf und machten uns daran Fauna und Flora der Insel zu erkundigen- oder das, was davon noch übrig geblieben war.

Also schwangen wir uns auf unsere Räder und machten eine volle 32 km Runde um die ganze Insel, sprangen noch mal in die heißen Quellen und fuhren dann zurück zum Hafen wo unsere Fähre zurück nach Tokyo bereits wartete.

Ich muss sagen, die Abfahrt nahm mich doch sehr mit: Lange, bunte Bänder wurden vom Schiff in Richtung Mole geworfen und die vielen Einheimischen die zur Abfahrt gekommen waren hielten diese fest, bis sich das Schiff so weit entfernte, dass sie rissen. Von Mole und Schiff wurde heftigst gewunken und sogar die Polizei hatte sich eingefunden und winkte sanft mit ihren Schlagstöcken in den Abendwind.

Die Nacht verbrachten wir wieder auf dem Deck und als wir am frühen Morgen in Tokyo ankamen, hatte sich unser Eindruck von Miyakejima doch erheblich geändert. Als wir zwei Tage vorher ankamen fürchteten wir, dass eine Gruppe von Zombies unseren Bus stoppen würde oder wir von gigantischen Mango Schildkröten gejagt werden. Aber als wir abfuhren hatten wir nur noch Respekt für die Insel und ihre Einwohner deren Schicksal von den Naturelementen bestimmt wird. Es ist kein einfaches Leben auf Miyakejima aber wir hatten mal wieder eine Menge netter Menschen kennengelernt. Die Erinnerung daran wird auch dann noch bestehen, wenn der Geruch von Schimmel und Schwefeldioxid längst vom Seewind weggeblasen wurde.

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