Tagesarchiv: 22. Februar 2016

Berlin 1985. Trackside.

Mittlerweile habe ich ein Alter erreicht, in dem Ereignisse in meiner Jugend theoretisch auch Einträge in Geschichtsbüchern sein könnten. Nun bin ich nicht so alt, dass da stehen würde „kämpfte auf Dinosauriern gegen Hitler“, aber für einen schwarz-weißen Rückblick auf Berlin reicht es alle mal.

Berlin in den Achtziger Jahren war für mich eine Mischung aus der Prä-apokalypse des kommenden Atomkriegs, einer sehr coolen Party- und Musikstadt und sehr unfreundlichen Bewohnern die einem auf Verdacht schon einmal eins in die Fresse geben. Mit anderen Worten, ganz anders als Mönchengladbach, abgesehen davon, dass man dort als Brillentragender Gymnasiasten Punk auch durchaus Gefahr lief in der Altstadt in eine Prügelei verwickelt zu werden.

Ich war das erste Mal 1980 in Berlin, um aktiv am politischen Häuserkampf teilzunehmen. Das lag im wesentlichen daran, dass wir zwar eine lahmarschige Hausbesetzerszene in Mönchengladbach hatten, aber abgesehen von einem Haus, das die Lahmärsche besetzt hielten, es nicht die geringste Möglichkeit für uns gab ein weiteres zu besetzen. Es gab einfach keine leerstehenden, coolen Häuser, sprich leicht abgerockter Altbau mit hohen Decken, sowie Wasser- und Stromanschluss. Es gab eine Liste von leerstehenden Häusern, die die damals noch sehr jungen, sehr bärtigen und sehr männlichen Grünen verteilten; wir sind dann zu den Häusern hingeradelt, aber keins von denen war besetzungsfähig. Eines davon, war ein Einfamilienbungalow direkt neben dem Polizeipräsidum – in dem hätten wir vermutlich keine fünf Minuten überlebt. Also ab nach Berlin.

In Berlin zogen wir in Kreuzberg von Haus zu Haus und boten unsere Dienste an, unter der Bedingung dass wir in den Häusern übernachten könnten. Die Hausbesetzer haben uns angesehen, als wenn wir bescheuert wären, womit sie auch komplett recht hatten. Die erste Nacht verbrachten wir dann konsequenterweise in der Bahnhofsmission. Am nächsten Tag lungerten wir wieder in Kreuzberg rum, als eine Bullenwanne vorbeifuhr. Aus einer Seitenstraße kam ein vermummter und warf einen Farbbeutel auf das Auto, der schön an der Seite zerplatzte und die Farbe gut auf die Karosserie verteilte. Der Vermummte rannte weg in unsere Richtung, dabei riss er sich die Maske vom Kopf – und ich erkannte Thomas, der auf unserem Gymnasium ein Jahr früher Abi gemacht hatte und um der Bundeswehr zu entkommen nach Berlin gezogen war. Wir rannten hinter ihm her, um ihn zu stoppen, er dachte die Bullen wären hinter ihm her und rannte schneller und so dauerte es eine Weile bis wir uns gefunden hatten. Bei Thomas konnten wir alle schlafen, er wusste wo die coolen Demos und Aktionen waren und so kamen wir doch irgendwie auf unsere Kosten. Zumindest hatten wir zuhause in Gladbach etwas zu erzählen, was unser Image als Zen-buddhistische Dada Revolutionäre weiter polierte.

Berlin ist daher für mich immer noch Achtziger, auch wenn sich die Stadt komplett gewandelt hat. Ich will  nicht lamentieren, dass früher alles besser war; früher war fast alles anders. Wenn man heute etwas über Westberlin, die Mauer, den kalten Krieg usw. liest, dann wird oft da Gefühl beschrieben, dass man dort am Rande des Abgrundes wandelte, da jeden Moment ein Atomkrieg ausbrechen konnte und dann sowieso alles und zwar komplett, für mich und für dich und für die BRD und die Welt vorbei ist. Das stimmt, allerdings hatten wir dieses Gefühl auch als Revolutionäre in Mönchengladbach.

Trotzdem hatte Berlin zu dieser Zeit, etwas sehr schwer fassbares und besonderes. Letztens schaute ich mir ein fantastisches Video über die Entstehung des Songs „Heroes“ 1977 in Berlin von David Bowie an.

In diesem Song, der mich in erster Linie an den Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erinnert, den wir an unserer progressivsten aller Schulen alle ansehen mussten, wird dieses Gefühl sehr gut auf den Punkt gebracht: Ein Zen-gleicher Moment, in dem drei parallele Tonspuren einer Gitarre den perfekten Sound ergeben. Ein Song, der als Endprodukt so viel besser klingt, als seine Einzelteile – der Gesang von Bowie klingt alleine wirklich nicht toll, ebenso wenig einige der Synthesizer die dafür verwendet wurden. Das ist Berlin für mich in der Summe seiner Teile.

Schnitt.

Ass Savers, ein Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gestellt hat unsere Hinterteile zu retten, in dem sie uns kleine, flache Plastikteile verkaufen, die wir an unseren Rädern montieren können, hat die Nebenaufgabe unsere Kultur zu retten. Schön, persönlich würde ich es ja besser finden,wenn dies die Royal Society for the conversation of fine bicycle arts“ machen würde, aber bevor es gar niemand macht, sind mir auch die Ass Savers recht. Ich kann das jetzt nicht noch einmal schreiben, daher jetzt nur noch abgekürzt AS. Also AS, sponsort eine Photoausstellung des schwedischen Photographen Staffan Jofjell. Jofjell hat 1985 bei den Berliner Sechstagerennen photographiert und seine schwarz-weißen Bilder fangen die Atmosphäre gar wunderbar ein. Die Photos finden sich auf der Track 85 Website und sprechen für sich selber.

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Diese Photos sind das Radäquivalent zu Heroes von David Bowie.

 

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