Viertausend Holländer kommen jedes Jahr mit ihren Rädern nach Ibbenbüren in der Nähe von Osnabrück, um dort jeden Hügel hochzufahren, den es im Umkreis von 10 km gibt. Viertausend Holländer, Silke, Andi und ich.
Achtung: dieser Post handelt aber in erster Linie von der Deutschen Bahn.
Die RTF
Die Tecklenburgrundfahrt wird organisiert vom Fietstoerclub CC’75 Nijverdal, etwa 100 km von Ibbenbüren entfernt auf der anderen Seite der Deutsch-holländischen Grenze. Es gibt drei strecken zur Auswahl: 100, 130 und 160 km und allen ist gemeinsam, dass sie eine ganze Anzahl von harten Rampen beinhalten, 27 Stück bei der 160erRunde, 23 bei der 130er Runde und immerhin noch 17 bei der 100er Runde. Für Holländer ist es attraktiv sich in den Bergen auszutoben, also kommen sie nach Ibbenbüren und nehmen uns unsere Hügel weg; ein Thema das Melanie Schmitz und ihre „Identiäre Bewegung“ bislang nicht aufgegriffen, bzw. hübsch in einem geklauten französischen Chanson verpackt hat. Wir wollen unsere Hügel wieder und ich wäre gerne bereit den Holländern dafür Melanie Schmitz zu überlassen.
Aus welchen Gründen auch immer veranstaltet zeitgleich der THC Westerkappeln seine RTF „Kreuz und Quer durch’s Tecklenburger Land“. Keine Ahnung, warum man nicht einfach mit 4.000 Holländern fährt, sondern sein eigenes, westerkappeliges Ding dreht. Muss an dem relativ sturen Schlag Menschen hier in Ostwestfalen liegen, oder wie Andi bemerkte: „Die Ostwestfalen sind die Westfalen unter den Westfalen.“ Jedenfalls kamen uns eine Menge Gruppen dieser RTF entgegen und kreuzten unsere Wege und die lila Pfeile sorgten ab und an für zusätzliche Irritation. Egal, als erstes mussten wir mal nach Ibbenbüren kommen.
Die Deutsche Bahn !
Wir trafen uns um kurz vor sieben am Bahnhof in Bremen; also Silke, Andi und ich. So waren wir auch letztens nach Ibbenbüren gefahren, aber diesmal gab es drei entscheidende Unterschiede:
- The „Mysterious Single“ (MS) kam diesmal nicht.
- Es war kein Discovolk am Bahnhof, dass den Weg nach Hause in die Vorstatdt suchte. Letztes Mal war da z.B. so ein Typ, der sich auf dem Bahnsteig die Herrenoberbekleidung vom Leib riss, wild auf eine Mülleimer einschlug und dann die Treppe runterstürmte. Genau das, was man morgens um sieben braucht.
- Wir trafen so ein paar andere Radfahrer aus Bremen am Gleis und im Zug, die ihren eigenen Plan hatten.
Gleich war allerdings, dass der Zug mal wieder zur spät war, diesmal mehr als 20 Minuten. So war bereits zu Beginn die Hoffnung verflogen in Osnabrück den Anschluss zu bekommen. Das war nur ärgerlich, aber nicht weiter tragisch. Ich meine, was kann man schon von der DB erwarten?

Deutsche Bahn Pizza
Vor ein paar Tagen erzählte mir ein guter, englischer Freund, David, der nun mit einer noch besseren deutschen Freundin verheiratet ist, folgende Geschichte aus seiner Jugend:
Als Teenager war er in den Siebzigern zusammen mit seinen Freunden nach London gefahren und Abends sassen sie dann zusammen in einer Pizzeria dort zum essen. Guter Laden, sie waren mächtig beeindruckt. Alle hatten Pizza bestellt und als der Kellner ihnen ihre Gerichte brachte, viel ihnen etwas merkwürdiges auf: Auf keiner der Pizzen war auch nur ein Hauch von Käse zu sehen.
Hm, das war komisch. War es vielleicht in London so, dass man hier Pizza ohne Käse aß? Ein neuer Trend? Was sollten Sie machen? Einfach die Pizza essen und so tun als wenn nichts gewesen wäre? Schließlich fasste sich David ein Herz, rief den Kellner und stammelte:
“ Sir, I am very sorry to ask you, but we noticed something somewhat peculiar with the dished we’ve odered. Not that we want to critize you or your excellent restaurant, it is just that …. well we thought, after thinking the issue carefully over, that perhaps something is missing …something like chesse, id you don’t mind pointing that out.“
Der Kellern antwortete darauf:
„I am terribly sorry Sir, but we have ran out of cheese this evening. We hoped you wouldn’t notice.“
Ich finde das eine gute Geschichte, weil sie zeigt da Prinzip erklärt wie die DB mit den Wünschen ihrer Kunden umgehen. Die Kunden fragen sich dann häufig, was sie falsch gemacht haben, oder ob das normal ist was gerade passiert. Kommt ein Zug innerhalb von 10 Minuten der geplanten Zeit an, so halten wir das mittlerweile für eine tolle Leistung. Ist es aber nicht. Es ist schlicht und einfach Pizza ohne Käse.
Die RTF.
So hingen wir recht lange in Osnabrück rum und schafften es dann aber so kurz nach halb Zehn endlich in Ibbenbüren anzukommen und mit dem Rad zum Johanns-Kepler Gymnasium, dem großen Sohn der Stadt (äh, also der Stadt Weil am Rhein). Dort wird gerade das neue RTF-Holländer Aufnahmegebäude neu gebaut, oder vielleicht ist es auch nur eine Erweiterung des Gymnasiums. Jedenfalls kann man da nur sagen: Bella Italia! Weil die Holländer ja gute Wasserbauingenieure sind, wurde die Flut der Rennradfahrer durch Gitterzäune wie die Fluten der Nordsee in die richtige Richtung kanalisiert. Nur wenige Minuten später waren wir angemeldet und konnten los fahren.
Wie überhaupt die Holländer sehr gut organisiert sind. Denn erstens war diese RTF sehr gut ausgeschildert (da kann sich Urania Delmenhorst was abschauen) mit leicht transparenten orangen (natürlich) Schildern mit schwarzen Pfeilen. Rechtzeitig vor jeder Abzweigung und dann unmittelbar danach, so dass man sich war in die richtige Richtung zu fahren. Und dann gab es an Überquerungen der Landstraßen fast überall Streckenposten die den Verkehr regulierten. Ok, die Verpflegung war…. ich sag mal so, man fährt ja nicht nach Holland zum essen (außer Pommes und beim Indonesier. Und die ganz Harten essen Frikandel aus dem Schließfach.
Wir hatten es nicht so eilig, eine richtige Gruppe der wir uns hätten anschließen können gab es auch nicht und da 130 km mit 2.000 Höhenmetern angesagt waren wollten wir es auch nicht übertreiben. Schon der zweite Hügel, der Lärchenweg nach 11 km hatte es an sich, die Rampe war bis zu 25% steil, hätte Andi uns nicht vorgewarnt rechtzeitig auf das kleine Kettenblatt zu schalten, wäre wir da nicht hochgekommen. So sollte es den ganzen Tag weitergehen: Ein wenig abfahrt, oft auf einer breiteren Straße, manchmal aber quasi blind auf kleinen Waldwegen im Schattenspiel von Licht und Schatten; nach links oder rechts abbiegen und dann einen Hügel hoch, vielleicht ein bis zwei Km lang und 50 bis 150 m Höhenmeter hoch. Bei 23 Ansteigen kamen dann 2.000 Höhenmeter zusammen, gar nicht schlecht für soweit nördlich der Alpen.
Und obwohl wir schon über eine Stunde unterwegs waren, sahen wir immer noch das Kraftwerk Ibbenbüren vor uns. Na ja, eigentlich sahen wir das den ganzen Tag, da diese RTF im Gegensatz zu, sagen wir mal Lüttich-Bastogne-Lüttich, nicht von A nach B und wieder zurück geht, sondern immer wieder Schleifen um A dreht (Kraftwerk) .

A: Stolz steht es auf dem Hügel vor Ibbenbüren.
Dann sieht man A auf einmal nicht mehr. Dafür B und B ist der Fernmeldeturm Tecklenburg.

B: Geometrischer Mittelpunkt unendlicher Schleifen
Also wieder Schleifen um B. Und zum Abschluss noch ein paar Schleifen um A, wie sich viel später herausstellen sollte. Bei dieser RTF hatte ich so gar nicht das Gefühl irgendwo hin zu fahren; etwa so wenig wie wenn man in einen Aufzug steigt wo man in der Regel ja auch im selben Gebäude bleibt.
Wir waren ja ziemlich weit hinten im Feld, da wir sehr spät gestartet waren (der DB geschuldet). Und wir dachten, wir hätten keine Chance mehr auf den Gesamtsieg. Tja, aber dann, wir fuhren gerade auf einer dicken neu gebauten Straße, sollten wir links abbiegen. Dort liefen einige Rennradler, was war da los? Also wir näher kamen wurde uns die Sache klar: Ein ca. 20 Meter langes Teilstück aus knietiefem Schotter, unmöglich mit einem Rad zu fahren, dachten Silke und ich und stiegen von unseren Rädern ab. In diesem Moment stürmte etwas, dass so aussah wie eine Elchkuh die ihr Junges verloren hatte durch den Schotter: Es war Andi, der mit seinem Rad durch den Schotter pflügte. Die Steine spritzen hoch und sein Rad grub sich in die Materie ein, aber nichts konnte ihn stoppen. Ich glaube an dieser Stelle hat er das halbe Feld überholt, aber netterweise hat es auf uns beide gewartet. So langsam kamen wir Richtung Lotte, das durch den heiteren Roman „Weimar in Lotte“ von Thomas Mann (soweit man irgendetwas, was Thomas Mann geschrieben hat mit den Worten „heiter“ bezeichnen mag) berühmt wurde. Dort soll es auch einen ganz guten Fußballverein geben.
Kurz danach kam die erste Verpflegungsstation bei der fast alles bereits weggegessen war. Und so ging es weiter, Anstieg um Anstieg, Abfahrt um Abfahrt unter der heißen Sonne (Sommer war nun gerade angekommen) in der bekannt voll unschönen Landschaft.

Sechs Anstiege später. Die Reihenfolge zählt umgekehrt, Anstieg 1 war der letzte. Oder vielleicht sind wir auch einfach falsch herum gefahren.

Noch mehr voll unschöne Landschaft.
Nach 90 km oder so waren wir an der nächsten Rast, leider hatten wir uns doch einmal ziemlich verfahren und mussten ein ganzes stück wieder zurückfahren.

Silke. In Schiedsrichterlaune. „Don’t mess around with me, boys.“
Dan waren wir 107 km weit gefahren. Keine Ahnung warum, aber ich kann das beweisen.
So langsam hörte es überhaupt nicht mehr auf.
Don’t look back in anger.
Auf einmal waren wir dann an der dritten Rast, die total schön an so einem voll unschönen See gelegen war. Das sah nach wieder hinfahren aus. ich wäre fast reingesprungen, ehrlich, ich musste mich total zurückhalten, um nicht den Jerome zu machen.
(Das ist ein alter Positivo-Espresso Running Gag: Jerome, einer der ersten Positivos, springt wirklich in jedes Wasserloch und in jeden Bach entlang des Weges, oft in voller Radbekleidung. Wie zum Beispiel hier am japanische Meer.
Dann noch weitere 30 Kilometer und einige Anstiege. So langsam wurde es anstrengend. Aber nach insgesamt etwas mehr als sieben Stunden kamen wir im Ziel an.
Insgesamt keine einfache RTF und irgendwie sind es statt 130 dann auch 144 km geworden. Durch das ständige Auf und Ab war es schwierig einen guten Rhythmus zu finden.
Die deutsche Bahn !!!!!!!
Jetzt nur noch ab nach Hause. Den Zug um 17:28 Uhr hatten wir leider verpasst, also legten wir uns erst auf die Wiese und fuhren dann um 18 Uhr zum Bahnhof, um den Zug um 18:28 nach Osnabrück zu nehmen.
Nicht gut, aber dann würden wir so gegen 20 Uhr zuhause sein. Drei Stunden hin, 2 1/2 Stunden zurück, vielleicht ein wenig zu viel Reisezeit für sieben Stunden radfahren? Na ja. Am Bahnhof war kein Zug. Der war 20 Minuten verspätet, erst einmal. Das hiess, dass wir wieder einmal in Osnabrück unseren Anschluss nicht bekommen würden, obwohl der auch verspätet war. So ein Mist. Wir waren nun wirklich müde, durstig und hungerig und wollten nur noch nach Hause. Der Zug kam dann endlich mit 30 Minuten Verspätung an. In Osnabrück hätten wir nun den Zug um 19:34 nehmen können, aber zum Glück war noch nicht einmal der um 18:34 losgefahren – wir hatten also Glück und rannten zu Gleis.
Also, ich stell mir das so vor; irgendwo da im Bahnhof Osnabrück sitzen die Götter der Deutschen Bahn, Regionus und Metrosysus und lachen sich über das Treiben der Bahnkunden tot.
„Schau mal, Regionus, diese Menschen da unten glauben, Sie könnten durch Laufen noch einen Zug erreichen!“
„Ha, dummes, eingebildetes Menschenpack, schade dass der Zug ohnehin ausfällt, sonst könnten wir ihn vor der Nase wegfahren lassen … Legt euch nicht mit den Göttern der Bahn an – Menschen!“
Um 20:00 Uhr standen wir immer noch gleich. Der Zug um 19:34 hatte mehr als eine halbe Stunden Verspätung, aufgrund einer vorhergehenden Verspätung. Ich vermute, es war die halbe Stunde, die der Zug bereits am Morgen verspätet war als wir zum ersten Mal einstiegen.
Es ist zum heulen mit der Bahn. Ich will jetzt keine Litanei anstimmen, wie toll das im Vergleich in Japan ist (ist es auch), aber wenn man sich irgendwo verlässlich hinbewegen und pünktlich sein muss ist davon abzuraten die Bahn zu nehmen. Einmal nahm ich einen IC nach Duisburg extra zwei Stunden früher als ich da sein musste, nur damit ich nicht zu spät kommen würde. Und was passiert, der Zug ist pünktlich und ich bin am Montag morgen um 9 Uhr in Duisburg. Was macht man um diese Zeit in Duisburg? Ich fragte den Taxifahrer und er meinte nur lakonisch: „Soll ich Sie zum Puff fahren?“
Ich glaube, dass viele sogenannte „Personenschäden“ durch frustrierte Bahnfahrer verursacht werden, die keine Lust mehr auf ein Leben wartend an der Bahnsteigkante haben und den nächsten, nahe liegenden Schritt tun. Oder vielleicht ist es auch umgekehrt, die Bahn rettet viele Leben. Man will sich das Leben nehmen, vor den Zug schmeissen, aber der verdammte ICE kommt einfach nicht. Und so langsam wie der Regio fährt, da kann man ja nicht sicher sein, dass es wirklich klappt. Also liegt man stundenlang auf den Gleisen, hat Zeit zum nachdenken und geht dann irgendwann doch wieder nach Hause. Wieder ein Leben gerettet.
Wir kamen dann kurz vor 21.30 Uhr in Bremen an. Total fertig. Ehrlich. Sieben Stunden Bahnfahrt für sieben Stunden Radfahrt. Ich glaube ich nehme das nächste Mal doch das Auto.
Danke Holland.
Hallo
Schöne Bericht, klasse zu lesen. Aber Ibbenbüren zu Ostwestfalen zu rechnen ist schon echt hart. 😉
Tecklenburger Land passt mir persönlich besser. Und ja, es gibt schon richtig fiese Berge hier.
Lg Thomas
Tut mir leid mit den Ostwestfalen. Das kam so aus der Situation heraus und musste einfach niedergeschrieben werden, auch wenn es in diesem Fall nicht zutrifft. Ich komme gerne mal wieder, bei euch kann man wirklich sehr, sehr schön fahren.
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