2012 war der Münsterlandgiro eine stressige, nasse und gruselige Erfahrung. Heute war es ganz anders: Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Pro- und Jedermannrennen: Prorennen enden mit einem Sprint, Jedermannrennen beginnen damit.
Der Wetterbericht war hervorragend – bis zu 23 Grad. Trotzdem wäre es natürlich noch besser, das Rennen am Tag der deutschen Einheit durchzuführen, und zwar dem Tag vor der Einheit: dem 17. Juni. Einerseits. Andererseits ist Münster ein guter und würdiger Abschluss für die Radsaison, das Rennen ist lang, hat ein paar Höhenmeter je nach Kurs und zum Abschluß sollte man so gut trainiert sein, dass es sehr schnell wird.
Auch dieses Jahr ging es erst einmal mit Ärger los: Waren es 2012 noch ein Selbstmord, der den Bahnverkehr für fast zwei Stunden still legte, Jörgs platzende Reifen und Regen, so machte mir dieses Jahr der Car Sharing Service einen Strich durch die Rechnung bereits am Vortage anzureisen und in Greven zu übernachten. Stattdessen klingelte der Wecker um Viertel vor Sechs und ich machte mich auf nach Münster. Die Strassen waren frei, zunächst war es noch dunkel und dann zog Bodennebel auf aber man konnte schon erahnen, dass es ein wunderschöner Tag werden würde – bis zu dem Moment wo ich in mein Marzipancroissant biss und feststellte, dass mir der Tankwart eins mit Nutella verkauft hatte. Das Leben zeigte sich von seiner Schokoladenseite.
Nach 1 1/2 Stunden Fahrt war ich in Münster und machte mich zur Startnummernausgabe. Hier ist lobend zu erwähnen, dass man dort zunächst wirklich nur die wichtigen Dinge bekommt (Transpoder, Nummer, Kabelbinder, Sicherheitsnadeln) und sich die ganzen unwichtigen Dinge woanders und freiwillig abholen muss. Ich empfinde es als störend Skigutscheine für Südtirol, Plazenta Hautcremepröbchen für Radfahrer und unförmige Wasserflaschen mit mir rumschleppen zu müssen wenn ich eigentlich nur radfahren will.
Noch ein wenig rauf und runter die Strasse um wach und warm zu werden und dann reihte ich mich in den Startblock B ein. Der A Block war gut gefüllt, die Verteilung findet in der Regel nach eigener Geschwindigkeitsangabe statt: Gibt man Licht- oder Schallgeschwindigkeit oder irgendetwas jenseits der Sechzig Stundenkilometer an landet man im Block an, alles über 30 in Block B und alles darunter wird wahllos auf Block C und D verteilt, auch Angaben von 38Grad Celsius oder „To infinity and beyond“ werden prinzipiell in Block A plaziert.
Ich hatte 36 km/h angegeben (letztendlich sollten es 38.8 werden) zog die Windjacke aus und machte mich warm. Im Gegensatz zur Bremen Challenge, einer der größten Zwangsunterhaltungsshows diesen Jahres, wo mehrere hundert Starter über eine Stunde unterhalten wurden, ging es hier planmäßig um 9 Uhr mit dem Start von Block A los, eine Minute später dann auch mit Block B. Da ich relativ weit hinten im Block stand, machte ich mich auf den Weg nach vorne und nutzte jede Möglichkeit zum überholen aus. Weil die Umgebung aber quasi genauso schnell in Bewegung ist wie einer selber, bekommt man das irgendwie nicht so mit; man denkt man daddelt mit 30 km/h durch die Gegend und schaut auf den Tacho und liest 44 km/h. Der Drang nach vorne klappte heute sehr gut. Nach ca. 20 Minuten des Hechels war ich ganz vorne mit dabei, es sei denn es gab noch eine schnellere B Truppe die sich vorne abgesetzt hatte. Da das ja ein Renne und keine Trainingsausfahrt mit Freunden ist, vermied ich es aber tunlichst mich in den Wind zu stellen.
Nach 18 km kam die erste Steigung. Die war nicht zu lang und es gelang mir in der Gruppe zu bleiben. So Gruppen sind ja riesige Maschinen, die Ausschuss produzieren der hinten rausfällt. Nach 22 km kam der erste „richtige“ Berg mit 100m Höhendifferenz und hier trennte sich das Pils vom Weizen. Dummerweise war ich bei den Pilsen dabei, aber auch nicht so richtig, ich war eher ein weiziges Pils, denn aus der Gruppe fiel ich nicht heraus, aber in der erste war ich nun auch nicht mehr dabei. Bis auf zwei, drei andere war ich alleine auf der Strasse und ich lies es ruhiger angehen, um mich von der nächsten großen Gruppe einholen zu lassen. Schliesslich hatten wir etwa 10 Fahrer zusammen und versuchten auf die Gruppe vor uns aufzuschliessen, was aber mißlang. Da waren halt auch ein paar dabei die von hinten nach vorne sprinteten Führungsarbeit machten und denen dann das Licht aus ging. Ich beteiligte mich an der Arbeit, aber es nutze alles nichts. Die Gruppe war auch zu klein um richtiges Tempo zu machen. Nach etwa 50 km, kurz vor Coesfeld, wurden wir von dem B Hauptfeld wieder eingeholt. Das war un eine sehr große Gruppe mit mehr als hundert Fahrern und die sollte auch bis zu den Schöppinger Bergen bei km 115 so zusammenbleiben. Ab und an holten wir ein paar A Fahrer ein, denen entweder Licht oder Schall ausgegangen war aber sonst passierte nicht viel. Das Tempo war immer noch fix, jetzt im flachen wieder jenseits der 40, taktisch lief es hervorragend und es gab zum Glück keine Anfänger und Selbstmörder im Feld bislang. Dann schlug mir jemand auf den Hintern. Mädels mögen so etwas ja nicht aus dem Hinterhalt, ich schon, vor allem bei Tempo 40. Marcus war auch im B Block gestartet, ich hatte ihn am Start aber gar nicht gesehen und hatte uns mit der Haupttruppe eingeholt.
Es begann ein Abschnitt der sehr flach war und das Tempo ging etwas runter. Wie auf Kommando packten Hände an Trinkflaschen und Riegel wurden aus Trikottaschen gezogen. Nachdem ich das erledigt hatte holte ich meine Kamera raus und machte ein paar Fotos vom Feld. Dabei musste ich daran denken, dass ich am Montag bei der Ausfahrt, einer ursprünglich als lockere Ausfahrt nach der Arbeit geplanten kurzen Runde, absolut und überhaupt keine Zeit hatte Fotos zu machen. Wenn ich nur daran gedacht hätte, die Kamera aus der Tasche zu holen, hätte mich dieser Moment der Unkonzentriertheit bereits hoffnungslos hinter die Gruppe zurückfallen lassen. Das war also wesentlich härter als der Giro hier.
Hart an diesem Giro waren vor allem die Ortsdurchfahrten. Die Organisatoren geben sich große Mühe die Gefahrenstellen zu kennzeichnen und abzuschranken, aber das fahren durch die Stadt ist trotzdem gefährlich und es ist ja nicht so als wenn das unbedingt nötig wäre. Die Begeisterung der lokalen Bevölkerung hält sich doch stark in Grenzen. Zwar ist ab und Kirmes und Männer von Schützenvereinen ziehen durch die Strassen – aber können die das denn nicht auch am 17. Juni machen?
Trotzdem merkte ich aber auch, dass es langsam anstrengender wurde. Meine Taktik ist im allgemeinen recht unkonzentriert in der Gruppe zu fahren; dadurch tun sich vor mir schon mal Lücken auf und andere Fahrer schieben sich dort rein. Dadurch falle ich nach hinten. Hinten fahren ist aber nicht gut, denn erstens ist das Risiko des baghängt zu werden groß und zweitens ist das wie in einem Stau, hinten fährt man hektischer wennn dich die Geschwindigkeit vorne verändert. das ist also anstrengender. Und dann, wenn ich meine ich bin weit genug zurückgefallen, spurte ich an der Seite wieder nach vorne. So langsam merkte ich, dass die Spurts mir schwerer fallen. Ich wollte mich auch nicht komplett verausgaben, die ja wusste, dass noch die Schöppinger Berge kommen. Und da waren die dann auch nach 112 km. Sofort zerfiel die Gruppe in die ihre Einzelteile. Ganz vorne konnte ich nicht mithalten, aber irgendwie gelang es mir doch relativ weit vorne zu bleiben. Ich vermute einmal, dass es Marcus da erwischt hat, und dass er hinten raus fiel. Ich dachte zunächst, dass sich nun vorne eine größere Gruppe abgesetzt hätte, aber zum Glück konnten wir die wieder einholen. Insgesamt war die Gruppe aber deutlich kleiner geworden.
Da wir jetzt näher ans Ziel kamen, wurde die Truppe auch hektischer. Es gab fast zwei, drei Stürze vor mir. Und obwohl wie auf einer relativ breiten Strasse unterwegs waren, zog es immer mehr Fahrer nach links so dass es schwieriger wurde nach vorne zu kommen. Ich blieb so in der Mitte und etwa 10 km vor dem Ziel versuchte ich mich nach vorne zu arbeiten, was aber sehr schwierig war. Jedenfalls hatte ich noch genug Power für einen Schlusssprint und das wollte ich nutzen. In Münster sind die Strassen dann relativ eng. Erstaunlich, denn im Zielbereich ist dies ja auch der Kurs der Profis, das häte ich mir durchaus breiter vorgestellt. Ein letzter Einsatz, Sprint und dann war es vorbei. So ganz unfroh war ich nicht, dass die Arbeit des Tages nun geleistet war (so dachte ich jedenfalls).
Zuhause vergleich ich dann die Zeit mit 2012. Damals 3:45 h, diesmal 3:41, kam mir ja doch schneller vor. Dann wurde mir auch klar warum, 2012 war die Strecke nur 129 km lang, diesmal 143. Das erhöhte dann den Zufriedenheitsgrad ungemein. 348ter von 672 Fahrern insgesamt, 56ter von 132 Fahrern in meiner Altersklasse. Alles sehr erfreuliche Ergebnisse.
Jetzt also erst einmal ein Weizen.
Ich hatte mich mit Marcus hier zum trinken verabredet, aber der kam einfach nicht. Eine gute Gelegenheit ein paar Fotos zu machen, insbesondere von coolen Clubtrikots, Münster Schloßplatz ist da ja so etwas wie der Radlaufsteg der Welt

Dazu fällt mir nur dies ein: https://www.youtube.com/watch?v=prwDgGYFTxc Am Haarschnitt muss aber noch gearbeitet werden.

Red Dot Design Award heute: Martin Schultewolte’s Sanitäres Racingteam und Rotz Racing – total unsanitär.

Das Trikot sieht farblich so aus wie eine Stützstrumpfhose aus dem Altersheim, das Mädel aber konnte fahren. Hat mich bestimmt 20 Mal überholt. Und Umgekehrt.
So, dann kamen aber auch schon die Profis.
Die Fahrt nach Hause dauerte dann geschlagene drei Stunden. Manchmal dachte ich, wenn ich jetzt mit dem Rad nach Hause gefahren wäre im Tempo des Giros hätte es auch nicht länger gedauert.
Insgesamt war es ein super Tag. Ich habe mir das mal auf Strava angeschaut. Jeder KOM und die darauf folgenden dreihundert besten Ergebnisse wurden heute gefahren, alles was vorher war quasi ausradiert. So , morgen noch ein bisschen fahren und dann werden die Beine erst mal hochgelegt.