In der Vergangenheit habe ich mich des öfteren abfällig über Menschen geäußert, die soooo alte Radhosen tragen, dass die Arschbehaarung sichtbar wird, wenn man in ihrem Windschatten fährt. Nachdem mich Silvia im Laufe der Etappe darauf aufmerksam machte, dass nagelneue, verschwitzte weiße Radhosen in etwa denselben Effekt erzielen tut mir dies sehr leid.
Egal, dazu später mehr. Oder auch nicht. Am zweiten Tag hatten die Mädels ausnahmsweise in ihrem Zimmr gut geschlafen, so dass wiederum ausnahmsweise kein Zimmerwechsel verlangt wurde. Am zweiten Tag hat man den Drill auch schon ganz gut verinnerlicht. Man weiß wann man aufstehen muss, was vorbereitet sein will, was man zum Frühstück isst und wie man ann gemütlich zum Startpunkt, der Messe in Bozen, fährt. Wir waren vielleicht ein wenig nervöser als sonst, da heute wesentlich mehr Kilometer (143) als auch Höhenmeter (2.200) als gestern anstanden – der Rennteil selber waren aber wieder nur lächerliche 613 Höhenmeter auf 6,2 km Strecke, also etwa 2/3 von dem was wir gestern geleistet hatten.
Nach demStart ging es im abgesperrten Verkehr aus der Landstraße parallel zur Brennerautobahn raus aus Bozen Richtung Norden. Als wir aus der Stadt raus waren begann der Anstieg und wir fuhren direkt in einen sehr langen Tunnel. Das war nicht so gut gewählt, denn die Luft war recht stickig und von der Landschaft war natürlich nichts zu sehen. Einerseits. Andererseits erinnerte mich, dass an das 210 km Rennen 2008 auf Sadogashima, auf dem es auf 210 km immer und permanent geregnet hatte und ich froh war, dass ab und zu ein Tunnel kam und ich trocken blieb. Dort waren die Tunnels die Highlights der Tour! Eine gute Seite hatte der Tunnel ja schon: Die Männer hielten sich im Tunneln doch sehr mit dem pinkeln zurück, noch nicht einmal die BASF Fahrer kamen auf die Idee den Beton zu düngen.
David bemerkte dann auch, dass wir eine andere Strecke fuhren, als der Veranstalter Sie zuum Download für Navis zur Verfügung gestellt hatte. Das war übrigens am ersten Tag genauso, wo wir auf der dicken Landstraße blieben und nicht den kleinen Weg um den Kalterer See fuhren. Es ging aber trotzdem ständig bergauf und durch das kontrollierte fahren machte das auch sehr viel Spaß.
Rechts und links gab es nun Landschaft noch und nöcher. Und da wir nun auch auf mehr als 1.000 Meter Höhe waren, wurden die Temperaturen auch ganz angenehm.
Und wem begegnete ich wieder direkt nach der Ausfahrt aus dem Tunnel?
Doch was war das? Auf einmal ging es links ab zum……Nein, ich wage es nicht zu schreiben, ein Pass mit einem politisch inakzeptablem, völlig inkorrektem Namen. Unglaublich, in welchem Jahrhundert leben wir denn hier in Norditalien? Ist da in den Bergen noch die Inquisition am Werke? Ich finde diesen Pass sollte man langsam mal umbenennen, also zum Beispiel in „Pass mit Migrationshintergrund“ oder ähnlich wohlklingenden, politisch korrekten Namen.
Wir fuhren weiter in Richtung des politisch korrekten Karerpasses. Am Straßenrand gab es eine Pause auf dem höchsten Punkt und dann machten wir uns auf in eine schöne Abfahrt nach Pera die Fossa. Von der Hauptstraße aus zweigte eine steile, kleinere Strasse ab direkt auf eine bewaldete Felswand zu und dort stand nun auch das Tor der Zeitmessung, dass wir bereits von der ersten Etappe kannten. Ich zitiere hier einmal aus dem Beschreibung des Veranstalters über den nun folgenden Rennanstieg:
„Der Aufstieg, 6,2 km lang mit einem Höhenunterschied von 613 m, ist kurz aber anspruchsvoll wegen der Neigungen, die in einigen Strecken 20% erreichen. Die Route führt durch eine besonders eindrucksvolle Landschaft im Herzen des Rosengartens. Die schwierigsten Abschnitte begegnen uns in den ersten 1500 m und in den letzten 3 km. Die durchschnittliche Neigung ist 9,9%.“
OK. Also die schwierigen Teile sind die ersten 1,5 km und die letzten 3, dann sollten die 1,7 km in der Mitte ja recht einfach sein, immerhin. Die ersten 1,5 km waren extrem steil. Es war überhaupt nicht daran zu denken hier irgendein Rennen zu fahren, es ging um das pure überleben und auf dem Rad bleiben und weiter treten – Survivalmode von der ersten Minute an. Man kommt dann durch eine Ort, wo die Straße etwas flacher verläuft und teilweise auch abschüssig wird. Das sind die leichten 1,7 km, aber mir schienen die maximal 400 Meter lang. Und von dort aus ging es dann superbrutal durch den Wald hoch. Ich kann mich nicht erinnern, da irgendwie zweistellige Geschwindigkeiten gefahren zu sein – war sozusagen die Anti-Fuchsröhre. Natürlich überholte ich trotzdem die gleichen Leute wie immer und wurde wie immer selber heftigst überholt. Silvia und Silke waren echt am fluchen. Einige Teilnehmer waren abgestiegen und gingen zu Fuß hoch. Ich könnte mir vorstellen, dass das schneller ist als Rad zu fahren. Thomas meinte er hätte jemand gesehen, der mit viel Schwung die Abfahrt runter kam, das Tor der Zeiterfassung und die Straße dahinter sah und gleich umkehrte und sich zur nächsten Pausenstation aufmachte. Kann ich nachvollziehen. Ich wollte aber ums verrecken nicht absteigen und quälte mich da mit 34/28 Übersetzung hoch. Jetzt wäre ich echt dankbar für ein 32er Ritzel hinten gewesen. Noch eine Kurve…und immer noch kein Ziel in Sicht….noch 500 Meter… immer noch kein Ziel zu sehen….noch ne Kurve… noch ’ne Kurve….ich steig ab…nein., doch nicht….weiter, komm, gleich in das Ziel da, nach der nächsten Ecke….Mist.. immer noch nicht…da! da! da!…die letzten 20 Meter noch Mal voll gespurtet und dann brach ich kurz hinter dem Ziel zusammen, ungefähr da wo Thomas gut gestylt und noch besser gelaunt stand und Fotos machte.
Kurz nach mir kamen Silke und Silvia rein und dann auch David. Zum Glück gab es jetzt Erfrischungen. Und da fiel uns auf, dass die Landschaft hier ja ziemlich beeindruckend war. Ich schwöre, ich habe davon absolut nichts im rennen gesehen.
Wir waren schon mächtig beeindruckt und mittlerweile konnten wir uns auch wieder bewegen trotz aller Erschöpfung un den Mund aufmachen und „Ahhhhh“ und „Oooohhh“ sagen. Nachdem nun alle Fahrer oben angekommen waren ging es wieder runter auf derselben Straße und dann nach Pozza die Fasso zum Mittagessen. Wie immer reichhaltig. Die anschließende Rückfahrt nach Bozen verzögerte sich dann erheblich. Wir mussten sehr lange warten, bis es dann im Gesamtpulk wieder losging.
Das war aber auch der einzige Moment, wo ich von der Organisation etwas genervt war. Von etwa 140 km waren wir nun gerade einmal die Hälfte gefahren und eigentlich recht kaputt. Die nächsten 70 km waren aber quasi nur noch abwärts im Peloton. Man hätte auch ein wenig schneller fahren können, denn es drängte sich schon ganz ordentlich, aber es ging dann sehr, sehr zügig zurück nach Bozen. Das Fahren in der großen Gruppe machte mir bei den schnellen Abfahrten aber nicht so viel Spaß, deshalb überlegte ich mir schon, wie in dem in Zukunft entgehen könnte.
Nachher an der Messe schaute ich auf die Ergebnisse: Wieder so Platz 300 irgendwas. Diesmal nur 16,2 Meter/Minute hoch, etwas langsamer als auf den Schneiderwiesen. Na ja, je steiler es wird umso mehr bin ich durch das Gewicht benachteiligt. Wir haben es dann nicht mehr raus in die Stadt geschafft zum Abendessen sondern sind zusammengesunken in unserem Hotel. Zum Glück wurden wir dort von Mademoiselle Jeanne verwöhnt:
“ Was willst Du? Noch ein Bier?“ (zu mir)
„Und was darf ich Madame bringen?“ (zu Silke)
Ja, Mademoiselle Jeanne vom Hotel Raffi hatte schon ihren besonderen Charme, den wir nun, wieder in Bremen angekommen sehr vermissen. Abends in unserem Zimmer packte ich meine weiße Radhose in die Wäschetüte und holte sie erst in Bremen wieder raus.