Tagesarchiv: 27. März 2016

Welle der Erregung.

Heute Nacht entlieh sich der deutsche Staat eine Stunde meines Lebens als er zwischen 2 und 3 Uhr die Sommerzeit einführte. Ich habe nichts dagegen, im Oktober bekomme ich meine Stunde ja wieder zurück. Aber wieso bekomme ich keine Zinsen dafür? 

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Christian Marclay – The Clock

Vorschlag zur Güte: Im Oktober werden die Uhren nicht um eine Stunde, sondern nur um 59 Minuten zurückgestellt; eine Minute wird an alle Bürger ausgezahlt. Man mache das 60 Mal, und dann ist es auch gar nicht mehr nötig überhaupt auf die Sommerzeit umzustellen, da wir die dann ohnehin schon haben. Nicht das ich das erleben würde, und wenn dann wäre es im altersgemäßen Zustand vermutlich sowieso egal.

Als zum ersten Mal, als Reaktion auf die große Ölkrise von 1973, 1980 die Sommerzeit in Deutschland wieder eingeführt wurde, weigerte sich mein Vater einige Tage lang da mitzumachen. Die Uhren zuhause wurden nicht umgestellt und in Telefonaten mit Kunden betonte er immer wieder, dass er pünktlich um 8 Uhr „richtiger Zeit“ kommen würde. Ich empfand das als verrückt, hatte aber einen gewissen Respekt, dass mein Vater den Kampf gegen die Zeit aufnahm.

Das wollte ich heute auch tun, ein kurzer, knackige Auftritt auf einer schon hundert mal gefahrenen Route, dem Worpsweder Dynamo. Ich verließ das Haus, als die Profis bei Gent-Wevelgem-Gent noch 75 km vor sich hatten und wollte vor ihnen das Ziel erreichen. Gleich im Sprint hoch zum Bürgerpark, dann weiter am Unisee zum Tierheim an der Müllverbrennungsanlage (Honi soit  qui mal y pense). Gleich wieder volle Power im Strava Zwang zum Dammsiel. Ausruhen bis nach Worpswede. Dann wieder volle Power den Timeworp hoch. Dann erst einmal Pause.

Als ich in Worpswede ankam spürte ich eine gewisse Welle der Erregung. Genauer gesagt, ich sah Sie gleich neben der Bank auf der ich sass.

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Da war sie, direkt unter meinem Rad, die Welle der Erregung.

Wow, man war ich erregt. Und die Welle erst – das war ja ein kleiner Tsunami, der sich hier unkontrolliert in Worpswede breit machte und langsam seinen Weg in Richtung der Dolomiten nahm.

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Drüben auf der anderen Straßenseite in den Dolomiten ahnten die Menschen noch nichts von dem unabänderlichen Schicksal, dass sie gleich in Form eines Tsunamis erfassen wollte. Die Welle der Erregung war hier noch nicht angekommen, man aß Eis und wunderte sich, wofür „or. ital.“ auf de Markisse stand.

Der Rest: Antiklimatisch. Gegen den Wind nach Hause, langsam, kräftezehrend. Trotzdem, ein schöner Tag, nur eine Stunde zu kurz.

Worpsweder Dynamo auf Strava

 

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Anstrengen am Am Strengen

Das Osterwochenende fing ein wenig doof an. Ich lud meine beiden Kinder in die Familienkutsche, um ihnen zu zeigen wie gut eine gute Rockwurst im Viertel schmecken kann. Das tat sie auch. Soweit, so gut. Andere Menschen, die gerade nicht in einem Restaurant waren kamen auf die Idee in unser Auto einzubrechen indem Sie die Seitenscheibe einschlugen und, man staune, die Mülltüte meiner Frau mitnahmen.

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Gute Miene zum schlechten Spiel

Und eigentlich wollte ich am Samstag in der Gruppe fahren, aber jetzt musste ich erst einmal zur Polizei, die Sache mit der Versicherung klären, den Wagen zur Werkstatt bringen, den Besuch bei meinen Eltern absagen- bis das alles erledigt war, war es dann schon fast Eins. Man war ich geladen und platt, obwohl es noch so früh am Tag war. Andere Leute trinken dann ein Bier, nehmen Drogen oder schlagen Frau oder Kinder. Wenn meine Eltern richtig sauer  auf mich waren, dann hauten Sie mir mit einem Buch kräftig auf die Finger, das war in den Siebzigern halt politisch korrekt. Lustigerweise war eins dieser Bücher „Theorie und Praxis der antiautoritären Erziehung“ von A.S. Neill in dem beschrieben wurde, warum man das alles gerade nicht tun sollte. Ich vermute einmal, dass meine Eltern nicht über den Teil der Theorie hinaus kamen.

Aua. Das erklärt vielleicht auch meine langjährige Abneigung gegen den rororo Verlag.

Meine Methode ist es mich auf das Rad zu setzen. Das ist gut, aber nicht sofort. Während man von Bier relativ schnell betrunken wird, Drogen, je nach dem, sofort ihren Effekt zeigen, muss man bei Radfahren erst einmal etwas geben, bevor man etwas bekommt.

Entsprechend genervt und aufgeladen setzte ich mich auf mein Rad und fuhr genervt und aufgeladen gegen den Wind raus nach Südwesten Richtung Ristedt. Ich fühlte mich schlapp, der Wind blies kräftig, mein Puls kam nicht so richtig auf Touren und in meinem Kopf ließ ich die Woche Revue passieren. Was war aufregendes passiert?

Ode an den Tods des Umwerfers

SRAM leitete die Woche den Tod des Umwerfers ein.

Full drivetrain

Ich habe wirklich nichts von SRAM irgendwo an meinen Rädern, aber ich muss sagen, die Amis holen auf. Das könnte auch daran liegen, dass das Unternehmen in einem sehr coolen Gebäude sitzt und eben nicht in altehrwürdigen Hallen in Vicenza (wo man die Tage auf die Idee kam, dass die Welt  neben Super Record, Record, Chorus, Athena, Centaur und Veloce nach einer neuen Gruppe namens Potenza lechzt) oder in Büros ohne Fenster in Sakai, Osaka.

シマノ本社工場

Shimano HQ

Ich hab’s gerade einmal nachgerechnet, an meinem Canyon Positivo mit einer Kompatkt Kurbel 50/34 vorne und einer 10-fach Kassette 11/28 hinten habe ich insgesamt eine Übersetzungsbreite von 376% (50/11 ist die schnellste, und 34/28 die langsamste Kombination). SRAM bekommt 500% hin. Und von den 20 Gängen die das Canyon hat, überschneiden sich die letzten sieben auf dem 50er Blatt mit den ersten sieben auf dem 34er Blatt – so gesehen hat es nur 13  Gänge. SRAM hat 12 und man vermutet bald 13, der Unterschied wird kleiner.

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Das Rennrad in fünf Jahren hat dann vermutlich  keinen Umwerfer mehr vorne, ein etap Schaltwerk hinten, hydraulische Scheibenbremsen und thru-axles.

Ein Vorteil einer elektronischen Schaltung, nämlich, das Trimmen des Umwerfers ja nach Position des Schaltwerks ist dann weg- ich bin mal gespannt welche Auswirkungen das haben wird. Ehrlich gesagt, ich mag ja ohnehin keine Umwerfer -technisch gesehen sind die Dinger primitiv und eine, wenn nicht gar die, Komponente an einem Rad, die am wenigsten Innovation in den vergangenen 50 Jahren erfahren hat. OK: dreifach: hahaha! – ist auch bereits wieder gestorben und war nie wirklich cool, zudem wahnsinnig empfindlich. Und wie die Kette da brutal von links nach rechts geschrabbt wird, im Gegensatz zum eleganten Gleiten durch das Schaltwerk auf der Kassette hinten: bäh. Wenn es sich nur irgendwie vermeiden lässt schalte ich nicht vorne. In Bremen lässt es sich sowieso komplett vermeiden – mit Ausnahme der Hünenburg in Achim und der Aalschleife in Vegesack. Und in den Alpen fahre ich erst einmal 50/28 bis es nicht mehr geht und jedes Mal, wirklich jedes Mal, wenn ich dann doch auf das kleine Kettenblatt schalten muss empfinde ich das als kleine, persönliche Niederlage.

Meiner Einschätzung nach wird sich auch bald an die elektrische Ansteuerung von Bremsen gewagt werden. Motoren an die Bremszangen an Gabel und Hinterbau zusammen mit den Behältern, all das wird die Griffe wieder kleiner werden lassen und damit sind dann auch wirklich alle Drahtseile am Rennrad verschwunden.

All dies ging mir so durch den Kopf auf dem Weg nach Ristedt, denn bei einem Schnitt von bis dato 23,4 km/h brauchte ich mich wirklich nicht auf die Strasse zu konzentrieren. Strava PRs/KOMs waren in dieser Richtung auch nicht drin.

Noch einmal: Strava

Ich hatte letztes etwas über Strava aus dem Netz kopiert, und zwar was man alles für unsinnige Dinge macht, um bei Strava gut auszusehen. Nun ist es so, dass der Artikel ja bereits jede Menge unsinnige Dinge erkannt hatte, aber noch nicht das unsinnigste überhaupt: zu dopen, um auf Strava KOMs zu sammeln.

Nick Brandt-Sorenson

Thorfinn (vorher, clean) Sassquatch (nachher, dedopt)

Der Artikel dazu auf Cycling Tips ist etwas lang, hat viele unnötige Schleifen und belanglose Detailinfos; und die Quintessenz der ganzen Sache ist, dass jemand der 834 KOMs hält das eben nur noch Doping schaffen kann (es sei denn er lebt auf Vanuta oder Palau).  Sich Sassquatsch zu nennen ist auch noch falsch,  richtig heisst es  „Sach Quatsch!“und das kommt aus dem rheinischen. Thorfinn-Sassquatch ist der erste Anwärter auf den Femke van den Driessche Preis (zwei Sittiche auf einem Elektromotor), dem Radsport-äquivalent zu den Darwin Awards.

Die Darwin Awards sind gr0ßartig. es gibt zu berichten, dass auch Radfahrer darin Aufnahme finden, wenn Sie extrem unsinnige Dinge tun:

No Bike Lane at the Airport
1997 Darwin Award Nominee
Confirmed by Darwin

(26 December 1997, Brazil) A bicyclist crossing an airport runway in Sorocaba, a city 87 kilometers from Sao Paulo, was killed when he was hit by a landing airplane. Marcelo, 25, could not hear the twin-engine plane because he was listening to his Walkman on headphones, investigators said. The propellor and right wing of the plane were damaged.

Bicycle Chain of Accidents
2007 Personal Account


„A gripping lesson in Newton’s Three Laws of physics.“
(2000) This account is a testament to the intelligence teenagers, who are prone to recklessness–a fact I should have borne in mind. Six years ago, on a Sunday afternoon, our gang of five had taken it into our brains that, since we live near the sea, it would be fun to play on the cliffs.We took turns riding our bikes up to the cliff edge and braking at the last possible moment, the object being a typical competition between young males. The drop to the water was over one hundred feet. After one boy almost flew off the cliff, we made it ’safer‘ by tying rope around our waists, attached to separate pegs anchored securely in the ground. This, we thought, would avert trouble.Uh huh.One boy’s bike squeaked terribly when he braked, and it was getting on everyone’s nerves. So he took care of the squeak in an ingenious way: he oiled the brakes. Some of you might already realise that this presents another problem, but we didn’t see it.

When it was his turn, he rode up to the cliff with the ironic cry, „Watch this!“ Indeed we did watch. We watched him apply the brakes, we watched his expression change to terror, and we watched him disappear from sight as he sailed over the cliff.

The rope did its job, and halted his descent. But his rope was longer than the others, and suffered the strain of 60 feet of falling teenager, as did the waist around which the rope was tied. The impact of stopping broke several ribs and almost cleaved him in two. Not surprisingly, he fainted.

At the top of the cliff, the four remaining kids telephoned for help, but the cliff was so remote that we couldn’t get through. Instead of running for help, we decided to winch him up ourselves. We set about digging up the peg he was attached to. When it finally came free, there was only one person holding it, and he was pulled over the cliff by the weight of the first boy.

Sensibly, he still had his harness on, but the 45-foot drop he endured mearly knocked this boy out. Meanwhile, the extra 45 feet of rope let the first boy plunge into the ocean, where he unfortunately drowned.

The last three boys on the cliff summoned help from the Coast Guard. Half an hour later, a large Sea King helicopter attempted to lift the dangling boy to safety. By this point, the knot that tied the rope around the boy’s waist had come loose, and he was hanging on for dear life.

Whirling helicopter blades build up a massive amount of static electricity as they beat against the air. Each helicopter therefore carries a cable to earth itself after a flight. As that cable approached the boy, he grabbed for it, heedless of people shouting warnings from the helicopter. When he did grab ahold of the cable, the electric shock blew him against the cliff, and he fell into the sea.

Fortunately he did not drown. He was airlifted to hospital, where he made a full recovery.

Six years later, I still have the scar on my hand where I touched that earthing cable. I owe my life to the work of the Coast Guard that day. Thank you, Coast Guard, for helping idiots like me stay alive long enough to tell the story to other idiots.

Großartig, und so kam ich nach Syke und dann nach einer kurzen Pause nach Okel. Ah Okel, Du glitzernde Lichterstadt, Las Vegas des niedrigen Sachsens. Fahre ich mit dem Rad rein in Okel, dann ist das so, als wenn man in Frankfurt vom Hauptbahnhof aus die Kaiserstrasse lang fährt ins Bankenviertel. Neonlichter, Versuchungen der Großstadt, Bars und Spielhallen rechts und links. Hier nahm mich mein Onkel als 14 jähriger, ich hatte gerade mein erstes Motobecane Rennrad von ihm bekommen, mit in einen Puff und wir spielten dort Flipper. An viel mehr hatte ich auch kein Interesse in den Siebzigern.

Über Frankfurt muss ich noch mal etwas länger schreiben, es bleibt aber so viel heute zu sagen, dass früher im Bahnhofsviertel das Verbrechen direkt an die Banken grenzte, heute ist da nur noch Verbrechen in verschiedenster Form.

Ich fuhr gegen den Wind den Okler Berg hoch und musste mich richtig anstrengen mit irgendwie 20 Sachen da hoch zu kommen. Zumindest der Puls kam dabei in Fahrt und so langsam baute sich der Stress ab. Ich bin schon so oft den Okler Berg hochgefahren und habe mich so dabei angestrengt, dass ich gar nicht gemerkt habe, das oben auf dem Berg ein Hinweis ist, dass man sich gefälligst anzustrengen habe.

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Nach dem Amstrengen. Okel im Hintergund mit den Bürotürmen der Okler Bank, der Stadtsparkasse Südokel und der Okler Messe.

Jetzt gibt es aber erst einmal etwas schneller weiter nach Gödestorf und dann mit Rückenwind nach Emtinghausen, Theddinghausen und in Lunsen weiter die Weser aufwärts bis ich den Fluß bei Daverden überquerte. Von allen Weserkreuzungen (Fähre Frage, Vegesack, Becks,Wilhelm-Kaisen, Erdbeerbrücke und Uesener Brücke) ist mir das die liebste. Ich mag die alte Wehranlage und die grün angestrichenene Mechnaik, die man so gerade hinter Milchglas erahnen kann.

Und mit richtigem Rückenwind ging es weiter nach Etelsen, wo direkt neben dem Schloss das Eiscafe Melisa liegt, die größte und angenehmste Dosis Italienertum die Bremen und Umgebung zu bieten haben. Die Kellnerinnen sind allesamt charmante Italienerinnen, die Luft ist gefüllt von dem Geruch von Cafe Lungo, lautem Lachen und generellem dolce vita. Kurz, man fühlt sich wie auf einem Marktplatz in Apulien. Das meiste ist geschafft, von daher geht es auf bekannten Wegen nach Hause: zunächst nach Achim, dann nach Oyten und weiter nach Sagehorn.

Nach 100 km auf dem Rad und einem besuch bei Melisa war ich nun auch wieder bester Laune und machte mich daran richtig schnell auf dem Hodenberger Deich nach Hause zu düsen. Dort holte ich prompt einen Strava PR, gedopt von Melisa’s Käsekuchen und dem immer noch starkem Wind im Rücken trotz der 100 km vorher.

Richtig gut war es dann nachdem es vorbei war. Besser als Bier trinken, Drogen nehmen oder Frau und Kinder schlagen. Ich lag auf dem Sofa, schaute das Fußballspiel Deutschland und England an und freute mich wieder des Lebens. Minkya!

Auf Strava

 

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