Tagesarchiv: 7. April 2013

Brief an meine Mutter aus Sulingen

1304 RTF Sulingen 05

Liebe Mutter,

wie geht es Dir und wie ist das Wetter in Cali? Hier ist das Sohn Andres Santiago Juan Camilo Hernan Juan Diego (*). Mutter, waren hattest Du nur so viele Brüder, die mir alle einen Namen geben wollten? Mir geht es gut, ich studiere immer noch an der Universitat do Bremen und mittlerweile habe ich eine Menge netter Freunde gefunden.

(*) Namen wurden vom Author geändert.

Also, ich glaube wenigstens, dass meine Freunde nett sind, ganz sicher bin ich mir nicht denn manchmal machen sie sehr komische Dinge die ich nicht verstehe. Aber bitte mache Dir keine Sorgen, Mutter. Letzte Woche zum Beispiel, luden mich einige meiner Freunde zu einer „Fiesta da Cicla“ am Samstag ein. Jeder weiß was das ist, man trifft sich mit, Freunden, ist gut gelaunt und fährt ein wenig Rad, läßt die Flaschen Aguardiente kreisen oder bleibt beim Jogo Naturale und dann gibt es Ajiaco Santaferena für alle und wir tanzen, reden und machen Spaß bis spät in die Nacht.

Das hier war ganz anders. Wir trafen uns schon früh am Morgen am Bahnhof mit unseren Rädern. Du glaubst es nicht, aber die Räder in Deutschland sind wahnsinnig primitiv, manche haben noch nicht einmal eine Schaltung. Ich hatte eine 3/4 lange Hose an, obwohl es sehr kalt war, aber ich würde ja bald in einer Scheune oder einem Haus sein. Manche der Deutschen hatten sich extra einen Bart wachsen lassen, so harsch war die Kälte an diesem Morgen.

Wir fuhren dann mit dem Zug zu einem Ort, dessen Name auf spanisch etwas schwierig auszusprechen ist, „Twistringen“. Es erinnerte mich ein wenig an die Kreuzung auf dem Weg von Cali nach Norden in die Berge, wo eine alte Frau seit Jahren Nüsse und Saft verkauft.

Würde die Fiesta hier mitten in der Einsamkeit sein? Nein, so sagten mir meine Freunde, wir sollten erst einmal 20 Kilometer bis zu einer großen Stadt namens „Sulingen“ radeln, dort würde das Fest steigen. 20 Kilometer – aber für eine gute Party muss man manchmal etwas investieren. Wir fuhren sehr schnell, und als wir endlich in Sulingen ankam, war ich bereits etwas müde. Meine Freunde hatten eine große Sporthalle am Rande der Stadt gemietet und viele Radfahrer waren bereits eingetroffen und machten sich bereit zum feiern. Da gab es die Radler von SWB („Saussen wie blöd“), von Velosport und welche in Tarnanzügen der deutschen Armee aus der Kaserne auf St. Pauli.

Wir kauften unsere Eintrittskarten und trafen die Freunde unserer Freunde: Mathias, Jörg, Torsten, Philipp, Andreas, Tobias und Michael (**). Dann machten wir ein gemeinsames Photo.

(**) Namen wurden vom Author nicht geändert.

Und dann trafen wir uns alle draußen, vielleicht 80 Freunde und wollten einmal um die Sporthalle fahren und dann anfangen zu feiern. Um Punkt 10 Uhr fuhren wir los, diese Deutschen mit ihrer Anbetung von Zeit und Uhren! Und zu meiner großen Überraschung fuhren wir los als wenn es um unser Leben geht, oder eine Schlammlawine aus den Hügeln auf unser Dorf zukommt. Das Tempo war mörderisch, innerhalb von wenigen Minuten waren alle weg und ich stand alleine auf der Straße in Sulingen. Ich dachte das wären meine Freunde! Aber die liessen mich einfach alleine irgendwo im Dschungel der Tiefebene.

Ich versuche gerade herauszufinden, wie ich von hier wieder nach Bremen komme, wollte Dir aber vorher noch diesen Brief schreiben, falls Du nie wieder von mir hören solltest. Hier scheint es keinen Zug zu geben, keine Menschen sind auf den Straßen und nur coole Kühe grasen auf den Wiesen um mich herum. Bitte mache Dir aber trotzdem keine Sorgen um mich.

Dein Sohn.

EPILOG

Er ist wieder nach Hause gekommen. Philipp und ich wissen das, weil er Philipp eine SMS schrieb, dass er seine Haustürschlüssel in Philipps Rucksack gelegt hatte und diese nun doch langsam gerne zurückhaben würde, das er vor seiner verschlossenen Wohnungstür steht. Das ist vermutlich ein alter kolumbianischer Brauch aus der Zeit der Azteken: Schlüssel heimlich in die Taschen von Freunden legen. Philipp und ich hatten uns allerdings spontan entschlossen an der 73 km Raststelle doch die 120 km Runde zufahren (die 124km lang war wie wir nachher feststellten). Nachdem wir die ersten 73 km ja noch recht schnell gefahren sind, waren die letzten 50 km dann doch deutlich langsamer und entspannter, so dass wir erst um kurz vor drei nach 5 Stunden wieder im Ziel waren.

Leider blieb und da nicht viel Zeit rumzuhängen und die Würstchen zu geniessen, der nächste Zug aus Twistringen fuhr um 16:20 Uhr zurück nach Bremen und länger wollten wir wirklich nicht in der niedersächsischen Provinz bleiben. Also machten wir uns flott auf den Rückweg, der dann wenig erstaunlich auch wirklich knapp 50 Minuten dauerte. Es gab einen ziemlich fiesen Gegenwind und mit 53/16 bzw. 46/15 macht das wenig Spaß. Zudem waren wir, glaube ich, auch ziemlich müde nach mehr als 150 km Fahrt zu Beginn der Saison.

Die RTF selber war gut organisiert und ausgeschildert, die Verpflegung war auch nicht übel, vor allem die Rosinenbrotstullen. Nicht so positiv fand ich die Streckenführung, die wenig Fixie-geeignet war mit vielen Abzweigungen und Überquerungen dicker Landstraßen und kleinen Feldwegen mit relativ schlechtem Straßenbelag. Na ja, wird ja auch deshalb vielleicht das Roubaix des Ostens genannt.

Gut war es auf jeden Fall nach der langen,langen Winterpause einen Haufen bekannter Gesichter zu sehen. Und einen ganz ordentlichen Trainingsauftakt zu haben. Also ich meine, ich war sehr froh die 20 km von Twistringen nach Sulingen als Training für die RTF gehabt zu haben  und die RTF selber als Training für was auch immer. Ach so, ja, Bremer Radmarathon, wo wir ja diesmal alle Fixie fahren wollen.

Nächste Woche in Malle. Mehr trainieren.1304 RTF Sulingen 02

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