„Ich wusste nicht mehr, ob ich wachte oder schlief,
die Augen verquollen von tausend Tränen,
auch wenn sie doch endlich einen Sinn bekämen.“
(HH Milch, „Fräulein Meier“, 1984)
Ich quälte mich morgens ganz früh aus dem Bett, fühlte mich lyrisch und machte mich auf den Weg in die Küche.Das war gar nicht so einfach, denn seitdem mein Sohn Abitur hat, hängt er mit seinen Kumpels im Esszimmer rum und zockt Nächtelang online „League of Legends“. Und so kämpfte ich mich durch leere Pizzapackungen, vorbei an Bierkästen und leeren Energiedrinkdosen zum Toaster durch. Man, hatte ich so überhaupt keine Lust!
Aber ich hatte ja dooferweise auf fb gepostet, dass ich alle heute nach Barrien zur RTF leiten würde. Meine Laune wurde auch nicht besser als ich, vorbei an Gummibärchentüten, Chipspackungen und Kartoffelsalatdosen die Strasse erreichte. Graue Wolken überall, vor allem am Himmel über einem, was schlecht ist, denn von da aus fällt vertikal der Regen auf einen runter, zunächst noch in tröpfelnder Form. Dabei hatte ich mich extra schick gemacht für dieses Event und mein TSV Barrien Vereinstrikot von 1991 angezogen.
Die klassische Mondrian-Version, heute in diesen Farben (stehen auf der Verbotsliste der Genfer Konvention) und Mustern (Gegenstand der START Abrüstungsverhandlungen zwischen Russland und den USA) fast nicht mehr zu bekommen.

Warten auf Bumsfidel- denkt man.
Zum Glück warteten schon die ersten Mitfahrer auf mich am Treffpunkt Bank Wehrstrasse.: Klaus, nein Friedel, nein doch Klaus, Benjamin, Caro, Silvia, Jörg, Christian und er kamen auch immer mehr, jetzt fehlte an sich nur noch Bumsfidel, auf den wir ja bereits letztes Jahr vergeblich gewartet hatten. Allmählich wurde die Stimmung aggressiv: „Wo ist denn dieser Bumsfidel schon wieder?“ „Alle sind da – und wer fehlt – der Bumsfidel natürlich!“ Ich ließ die Stimmung erst einmal köcheln, denn ich war der einzige der wusste, dass Bumsfidel gar nicht kommen würde. Das hatten wir nicht so abgemacht, um alte Traditionen zu wahren, sondern Bumsfidel wollte mit der BBC (Big Black Cog) Gruppe erst um 8:30 in Barrien sein und später losfahren. Da ich den ganzen Tag heute keinen einzigen BBCler gesehen habe, gehe ich davon aus, dass Bumsfidel heute Abend um 20:30 Uhr meinte, wenn die Strassen leer sind und Deutschland gegen die Ukraine bei der EM spielt.

Na dann warten wir doch auf Schnippo!
Schnippo, bürgerlicher Name Stephan-Cevin Graf zu Schnippowitsch, sollte uns nach Barrien führen, da er der einzige mit Ortskenntnis des Bremer Süden ist. Auf den mussten wir nun warten. Unglücklicherweise fährt Schnippo, im Gegensatz zu vielen Anderen von uns, nicht nur Rad sondern geht einer weitgehend ungeregelten Arbeit, und einem überhaupt nicht geregelten Lebensstil nach. Nachdem wir also ausreichend gewartet hatten sagte jemand, das Schnippo nicht kommt, was schlecht ist, denn Barrien liegt ja nicht gerade um die Ecke und ist im Prinzip nur auf Feldwegen zu erreichen.
Also, auf wen sollen wir nun warten? Silke! Denn jemand berichtete, dass Silke munter und fröhlich „Legat. Illegal. Scheißegal“ von Slime vor sich hinflötend am Straßenrand saß und versucht mit Andi zusammen einen Platten zu reparieren. Als die beiden dann endlich kamen ging es endlich auf Richtung RTF. Und zwar für ca. 4 km, bevor der zweite Platten Silke stoppte. Tobi führte die Gruppe weiter nach Barrien, während ich umkehrte um Silke und Andi nach Barrien zu fahren. Andi war nirgendwo zu sehen und Silke fuhr in die falsche Richtung – nämlich nach Hause. Ich konnte sie nicht überzeugen ihr schlechtes Kharma herauszufordern und mit nach Barrien zu kommen und musste mich so alleine auf den Weg machen. Fazit: Alles organisiert und dann doch alleine gefahren.
In Barrien waren schon jede Menge Leute, allerdings wegen dem schlechten Wetter auch deutlich weniger als in den letzten Jahren. Obwohl in Barrien ist an sich immer schlechtes Wetter. Fremde Frauen lächelten mich an – war es wegen meinem TSV Barrien Trikot? Nein, es war Corinna, die mich anstarrte, die ich 5 Minuten nicht erkannte, bevor endlich der Groschen fiel. Es gab Kuchen und Kaffee, belegte Brote und wie immer hatte der Verein, d.h. seine Mitglieder und davon vermutlich überwiegend die weiblichen, großartiges an der Kuchen- und Brötchenfront geleistet. Es ist wirklich irre, was so die Dorfvereine zustande kriege. Würde ich, zum Beispiel einer Gruppe von Studenten die Aufgabe geben so etwas zu organisieren, so kämen sie mit einer Flasche Cola an und hätten sich heillos zerstritten.
Gespräche rechts und links. Das hat sich schon sehr geändert im Vergleich zu vor sechs Jahren als ich aus dem Ausland nach Bremen kam und keinen Menschen kannte. Norddeutsche sind ja nicht für ihre Offenheit bekannt; sprach ich damals einen ein, dann sagte er mir. „Hau ab, ich kenn‘ schon einen anderen Menschen!“ und machte ein Gesicht wie Thorsten. Heute ist das komplett anders. Auch und gerade wegen dem cyclyng Blog werde ich mit Respekt behandelt was mir fürchterlich peinlich ist. Manchmal werde ich sogar nach meiner Meinung zu radtechnischen Dingen befragt was noch peinlicher ist, da ich dann so tun muss, als wenn ich davon Ahnung hätte, wobei mein eigentliches Fachgebiet ja die Optimierung von Festigkeits- und Wärmedämmungseigenschaften von Hochlochziegeln ist – aber dazu stellt natürlich nie jemand eine Frage! Zudem wird angenommen, dass ich bestimmte Dinge mache, weil sie einen Sinn haben, wo ich doch einfach nur zu doof bin. Beispiel von heute:

Lasierte Beine.
Diese braunen Flecken sind nicht etwa Desinfektions- oder andere Wundermittel, um meine Leistung zu verbessern, sondern Lasur. Warum Lasur? Hatte ich meine japanische Frau um eine Rasur meiner Beine gebeten und sie hatte das nicht mißverstanden wegen akuter R/L Schwäche? Nein. Das mit dem R/L ist übrigens wirklich schwierig. Kazuko sagt auch immer „Früchtling“ und „Früchtlingsunterkunft und ich denke an eine Scheune in der sich Orangen und Mangos vor dem Regen schützen. Fairerweise muss man natürlich auch sagen,dass es uns auch schwer fällt in der japanischen Aussprache zwischen „つ“, “す“ und „ず“ zu unterscheiden. Oder zwischen „紅葉“ und “工場“, fast identische Aussprache, das eine heißt aber „gelbe und rote Blätter im Herbst, die die Herzen der Menschen berühren in ihrer Pracht“ und das andere „Fabrik“.
Also, warum Lasur? Weil ich zusammen mit meinem Sohn den Gartenzaun gestrichen habe und wir uns beide total versaut haben. Ich quatschte sehr viel und verpasste prompt den Start.
Zum Glück kam gleich hinter mir eine Gruppe mit Steen, Thorsten und anderen Wiegetrittlern und wir machten uns daran das Feld von hinten aufzurollen. Thorsten machte sehr viel Führungsarbeit vorne und ich beteiligte mich auch aus Dankbarkeit sporadisch. Wir überholten eine Reihe von Gruppen, aber irgendwann ist auch einmal Schluss damit. Das Tempo war aber immer noch gut hoch im 35-40 Bereich und so kamen wir dann bereits nach 30 km oder so an die erste Verpflegungsstation. Wo dann alle bis auf einen und mich rausfuhren, um den legendären Butterkuchen zu tanken, nachdem diese RTF benannt ist. Ich fuhr einfach durch, zusammen mit dem Lotto Typen, der mir aber etwas zu schnell war. Stattdessen fand ich zwei weitere Mitfahrer, von denen der eine ein wunderschönes Basso Fiore di Loto hatte. Ich musste relativ viel vorne fahren, um das Tempo hoch zu halten. Da änderte sich, als Andi mit einer Gruppe von 5-6 Fahrer kam und wir uns teilweise daran hängten. Teilweise, denn die fiesen kleinen Anstiege sorgten dafür, dass hinten noch einige rausfielen. So ging es dann in gutem Tempo weiter zur zweiten Verpflegungsstation die ich ebenfalls ausließ. Diesmal musste ich ganz alleine weiterfahren und verirrte mich prompt. Zum Glück fand ich eine Strasse, auf der ein Paar Gruppen fuhren und hängte mich dran. Und zum Glück waren das auch Gruppen auf der 113er Runde.
Diese Gruppe war nun richtig flott und wir fuhren quasi ständig im 40er Bereich. Besonders fies waren die Abzweigungen – an jeder wurde arg schnell beschleunigt und ich musste mich mit 45 Sachen richtig reinhängen, um nicht den Anschluss zu verlieren. So langsam merkte ich, dass mir der Saft ausging und irgendwann würde ich wohl aus de Truppe rausfallen. aber da kam auch schon die dritte und letzte Station und die ganze Gruppe blieb stehen um zu essen. Ich war auch total überrascht wie viele Fahrer da standen, nach dem Tempo bislang hatte ich geglaubt ganz vorne zu sein. Auch hier fuhr ich durch und wurde dann relativ schnell von einer weiteren Gruppe eingeholt die etwas langsamer unterwegs war. Unter anderem waren da auch Fahrer aus Bruchhausen-Vilsen und Nienburg dabei.
Kennt ihr dieses Gefühl, wenn ihr auf der Autobahn fahrt und vor euch wird eine LKW-Zugmaschine abgeschleppt? Also so, dass die Fahrerkabine nach hinten zeigt und man das Gefühl hat, da kommt einem ein LKW auf der falschen Spur entgegen und gleich kracht man zusammen? Dieses Gefühl hab heute das Mädel vor mir, durch die Kombination aus geflochtenen Zöpfen und Brille.

Zugmaschine
Hey, und wie man einen Helm richtig rum aufsetzt, darüber kann man durchaus in Bremen auch geteilter Meinung sein. Ich fühlte mich die ganze Zeit peinlich angestarrt und versuchte nicht auf die Banane zu gucken. Insgesamt war das aber eine gute Truppe, die mich schnell ins Ziel brachte.

Norddeutschland

Schau mir in die Augen…
Insgesamt bin ich heute auf 114 km fast einen 36er Schnitt gefahren, und habe in mehr als drei Stunden gerade mal 2 Minuten Pause gemacht. Also eine gute Vorbereitung für den Velothon in Berlin am nächsten Wochenende. Und ich war echt froh, als es vorbei war und ich wieder chillen und quatschen konnte.
Das ist ja nach den RTFen immer viel zu kurz, weil alle gleich wieder zurück nach Bremen wollen. Und da alleine zurückzufahren ja so gar keinen Spaß macht, schloss ich mich einer Gruppe mit Andi, Andres, Caro, Tanja, Tobi und einigen anderen an. Kurz vor 13:000 Uhr war ich wieder zuhause, mein Bett und seine Freunde lagen jetzt gerade mal im Bett.
Zu einem perfekten Wettkampf gehört unbedingt im Anschluss noch einmal richtig Stabi Training zu machen, um den Körper perfekt auszubalancieren. Hier empfiehlt es sich mit Gewichten und Partnern zu arbeiten, notfalls tut es auch ein etwas älteres und schwereres Handy.

Vor dem Stabi Training

Nach dem Stabi Training
Danke an Caro für die Assistenz beim Stabi Training. Nach dem Stabi Training fühlte ich mich auch wieder so richtig frisch. Den Tag anschließend verbrachte ich aber dann doch erst einmal im Bett und dann auf der Couch – und jetzt denke ich so ganz langsam an Fußball.
Danke an alle die heute mitgefahren sind und auf die wir warten oder nicht warten mussten. Und an den TSV Barrien für die gute RTF und den vielen Kuchen etc., auch wenn ich kein einziges Jersey heute von dem Verein gesehen habe.
Sehr gut geschrieben. Finde den Bericht sehr amüsant 😊
Danke, das ist nett. Die RTF war auch irgendwie … amüsant.
Haha 😀 Ich finde den echt gut geschrieben und es unterhält auch super!
…jo nur die Sache mit Deinem Sohn, die ist wohl irgendwie verrutscht. Bei meinem Lütten ist immer alles am nächsten Tag „schön“. Seine Kumpels räumen sogar mit auf.
Erst gestern kamen sie zum Fußballschauen. Zu meinem Erstaunen wurde mir von jedem die Hand zum Gruß gereicht. Hat man ja heute auch nicht mehr oft. Gerade bei dieser Altersliga.
Meiner pubertiert halt. Kann nicht wirklich böse sein wenn ich an die eigene Jugend zurückdenke.
…aha, da liegt das „Problem“, die eigene Vergangenheit. Komisch, bei mir war das nicht so. Aber nun gut, man hat sie ja trotzdem irgendwie lieb, seine eigenen Kids.
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