Tagesarchiv: 13. Juni 2012

Berlin Velothon Heimat 2012

Heimat – das ist ein bekannter Film in meiner Generation von Edgar Reitz. Berlin – das ist eine Stadt.

Zwischennotiz: Es folgt ein längerer Diskurs über das Konzept „Heimat“ und seine Dynamik im Zusammenhang der Globalisierung. Die Radinteressierten mögen bei „Hier“ weiterlesen.

Meine Großmutter verbrachte die letzten 67 Jahre ihres hundertjährigen Lebens in einem Dorf am Bodensee namens Lochau. Ihre Tochter, meine Mutter, zog 1960 nach Mönchengladbach und blieb dort die nächsten 52 Jahre. Ich wuchs immerhin noch 20 Jahre in Gladbach auf, dann zog es mich über Düsseldorf, Aachen, Tokyo und China und Malaysia wieder nach Düsseldorf und nach Japan und letztendlich nach Bremen. Mein Sohn? Geboren in Kuala Lumpur, aufgewachsen in Düsseldorf, Hamamatsu, Tokyo, Yokohama und Bremen. Meine Tochter? Geboren in Tokyo, nun in Bremen mit zehn Jahren. Meine Kinder wissen wo sie zuhause sind, sie könnten aber nicht sagen, wo ihre Heimat ist. Für mich ist es wichtig, Orte zu haben, die ich mit meinen Erinnerungen verknüpfen kann. Das alte Jugendheim in dem wir aufgetreten sind, der Geruch von nassem Gras im Garten meiner Eltern, der Radladen in dem mein Vater mir mein erstes Rad gekauft hat. Genauso wichtig sind immer wiederkehrende Ereignisse: Das jährliche Radrennen am Saiko See in der Nähe des Fujis, das erste Mal im Frühjahr draußen im Cafe sitzen. Werder gegen Gladbach im Weserstadium sehen.

Das ist wahrscheinlich für viele genauso. Meine Kinder haben diesen Bezug nicht oder deutlich weniger, ihre Fixpunkte sind weniger und weit verstreut über den Globus. Vermutlich werden sie später in Städten wohnen die heute noch Dörfer sind und in Ländern leben die noch nicht existieren.

Nach der Rückkehr aus Japan gibt es für mich zwei, drei jährliche Fixpunkte, die so etwas wie „Heimat Deutschland“ ausmachen: Der Bremer Radmarathon, das Sommerfest eines Freundes in Diemitz und der Velothon in Berlin bei Kathrin und Fabian.

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Der Velothon ist daher etwas ganz besonderes, nicht wegen dem Rennen an sich, das ist in etwa genau wie jedes andere Rennen (Etwa: Wie ein bescheuerter losfahren, sich voll verausgaben, Augen immer auf dem Hinterrad des Vordermanns, nachher nicht mehr können und ins Ziel einrollen, juhu fertig, Platz egal, anyhow sowie nicht doll und nix von der Umgebung gesehen). Das ist mehr die Kombination von einigen sehr entspannenden Tagen in einer sehr netten Umgebung in einer sehr ungewöhnlichen Stadt.

Genau: Berlin – oder das große Bremen an der Havel, wie es von seinen Einheimischen und vielen Zugewanderten liebevoll genannt wird. Das Brandenburger Tor, die Siegessäule,

der Reichstag

– in Berlin gibt es viel zu sehen. Ich gehöre ja noch zu der Generation die seinen Kindern jedes Mal auf der Fahrt nach Berlins sagt: „Ruhe da hinten, wie sind jetzt in der Zone!“ Berlin ist für mich schlechtes Wetter, kalt, riesige alte Häuser in Reihen mit Hinterhöfen, Kachelöfen und Toilette auf dem Flur, Häuserkampf in Kreuzberg, Demos, mein Schulfreund Thomas mit einem Molli in der Hand, Punkrock Konzerte, gutsortierte, kleine Plattenläden, Jugendherbergen und Bahnhofsmission und unfreundliche DDR Zöllner. Oder, besser gesagt, das war Berlin für mich, denn heute ist Berlin eher schlafen im Wintergarten, radeln durch den Grünewald, quatschen mit Kathrin und Fabian und draußen im Garten sitzen und entspannt essen und trinken. Ich fühle mich angekommen und wohl behütet und meine einzige Sorge ist, dass das wohl nicht so immer weitergeht. Zuhause haben die Kinder Mumps und die Frau möchte ein neues Auto, aber ich brauche auch das eine um das andere zu schätzen.

Ich saß also im Zug nach Berlin der naturgemäß am Freitag Abend wieder voll und zu spät war. In meinem Hinterkopf brummte „Wir fahren nach Berlin“ von Hermanns Orgie, einer zu recht vergessenen Hamburger Band aus den Achtzigern. Ich hatte mein Fixie dabei, denn in der Woche vorher kam ich auf die großartige Idee den Velothon nicht auf meinem Rennrad zu fahren. Beim ersten Mal 2010 war ich bereits die etwa 116 km unter 3 Stunden gefahren und letztes Jahr hatte ich einen Unfall, musste das Rad reparieren und war deutlich langsamer. Also nicht wieder volle Pulle, sondern gemeinsam mit Fabian und seinen Freunden. Mal sehen was geht, war die Devise.

Neben mir im Zug saß eine wahnsinnig dicke, blonde Frau. Ihr Kopf war mehr eine Beule die sich sanft zwischen ihrem Busen hervorhob. Sie aß, las einen Roman und spielte dabei mit ihrem Smartphone. Ich war zwischen ihr und dem Fenster eingequetscht und konnte mich kaum bewegen und so versuchte ich mich mit dem Hören guter Musik abzulenken (bewährte Mehode aus dem Tokioter U-Bahn). Wahrscheinlich war sie ganz nett, aber ich wurde halt zwischen Masse und Glas eingequetscht und wollte einfach nur ankommen.

Ich kam also an der S-Bahnstation an, baute das Fixie zusammen und fuhr zur Kill Man Street. Keiner da, denn alle waren beim Griechen oder so und schauten sich Polen gegen Griechenland an. Es wurde auch diskutiert oder welchen Vorwänden sich Männer zusätzliche Freizeit verschaffen (Kongressteilnahme) und was sie dann machen (Radfahren auf Mallorca oder anderes). Ein Ingenieur, ein Architekt und ein Rechtsanwalt sitzen zusammen und diskutieren, was besser ist, die Frau oder die Geliebte. Der Rechtsanwalt vertritt aus legalen Gründen vehement die Frau, der Architekt aus Gründen der Romantik und der Emotion die Geliebte. Und der Ingenieur? „Beides“. Warum? „Dann denkt die Frau man ist bei der Geliebten, und die Geliebte man ist bei der Frau. Dann kann man endlich mal im Büro bleiben und einen Haufen Arbeit weghauen.“ Oder halt auf Mallorca Rad fahren.

Einen habe ich noch, den kürzesten Männerwitz der Welt: Kommt `ne Frau beim Arzt.

Am Samstag wachten wir spät auf, frühstückten dann in aller Ruhe und machten uns dann daran unsere Fahrräder zu tunen. Viel gab es nichts zu tun – dachte ich, bis ich die Kette von Fabians Rad sah. Die haben wir dann gemeinsam gereinigt. Meine Finger habe ich bis Montag nicht mehr sauber bekommen. Auf der anderen Seite ist das Grundstück auf der Kill Man Street nun wegen schwerer Altlasten nicht mehr verkäuflich. Tausende von Jahren später werden Geologen hier Probebohrungen durchführen, auf Ölhaltige Sande stoßen und eine Raffinerie errichten. Ich wünschte ich hätte Photos gemacht.

Wir trafen uns dann zum „lockeren Einrollen am Tag zuvor“. Dabei waren Fabian und ich, Christine und Gregor, Till und Bernhard. Bernhard hatte ein neues Rose Rad, das sein altes Hercules von letztem Jahr ersetzte. Christine hatte ihr schönes Bianchi, allerdings ohne Kuhlenkerband und ohne Iphone Halterung. Gregor hatte weiße Kompressionssocken, hoch bis in die Kniekehlen, also von der UCI verboten. Es sollte so „locker durch den Grunewald gehen“. Klar, eigentlich muss man schon anfangen zu lächeln wenn man so etwas hört. Es wurden gruselige 39 km die mir schon fast alles abverlangten. Dabei stellte wir allerdings fest, das Till aus dem Heimatdorf meiner Mutter (Lochau am Bodensee) kommt. Da haben wir wieder den Heimatbezug.

Wir fahren den Berg hoch zum Grünewaldturm und das zog sich … ich wurde langsamer und langsamer und irgendwie kam ich drüber aber für das Rennen am nächsten Tag machte mir das ordentlich Angst. Zum Abschluß führte und Bernhard noch hoch auf den Teufelsberg. Da fuhren so Skateboarder rum und „Drifttrikes“ und so wurde es wahnsinnig schwer da die Steigung hochzukommen und dann mußte man noch wahnsinnig konzentriert beim runterfahren sein – puh. Zuhause kochte ich dann erst einmal (das einzige Gericht das ich kann und das ich meiner Ex-Freundin JvK verdanke), schlief eine Stunde und schaute dann mit allen zusammen Deutschland gegen Portugal.

Photo von Kathrin mit Hipstamatic

Während ich das schreibe läuft Deutschland gegen Holland … deswegen .. Fortsetzung folgt.

NEIN. DOCH HIER.

Ein Kommentar

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